Freiluftklänge und Discobeats

Wo BJ Nilsen & Stilluppsteypa draufsteht, darf man getrost seltsam-abstrakte Tongebilde erwarten. Der in Berlin lebende schwedische Field-Recording-Spezialist Benny Nilsen und das isländische Experimentalprojekt mit dem sperrigen Namen tun sich schon seit Jahren in regelmäßigen Abständen zusammen, um Alben aufzunehmen, in denen die Klänge stets genügend Auslauf bekommen, auf dass sie sich artgerecht in die unterschiedlichsten Richtungen entfalten können. Für ihre aktuelle Schallplatte baten sie den argentinischen Klangtüftler Alan Courtis alias Anla Courtis hinzu. Auf „Golden Circle Afternoon“ verarbeitete man Material aus Berlin, Reykjavík und Buenos Aires, wobei nicht mehr genau zuzuordnen ist, woher die Zutaten der beiden pilzartig wuchernden Epen von gut 20 Minuten Länge im Einzelnen stammen. Manches klingt deutlich nach den Umweltgeräuschen, die die Musiker auf einer gemeinsamen Tour sammelten, anderes nach verwildertem elektronischem Gerät, hier und da ist mal eine Orgel, eine Gitarre oder ein anderes traditionelles Instrument zu vernehmen. Doch selbst herkömmliche Klangquellen werden von diesem erkundungsfreudigen Kollektiv so systematisch in die Mangel genommen, dass sie am Ende etwas Befremdliches erhalten. Oft verströmen die traumsequenzartig fließenden Massierungen beim gemächlichen Voranschreiten einiges an Milde und Gelassenheit, an anderer Stelle kann man es dafür schon mal leicht mit der Angst zu tun bekommen. Wobei selbst in den düsteren Momenten dieser Freiform-Trips ein abgründiger Humor durchschimmert. Sinn für das Absurde kann man den Beteiligten daher allemal zuschreiben – und die Fähigkeit, diesen überzeugend in Musik zu übersetzen.

Und nun zu etwas völlig anderem: Der venezolanische Musiker Daniel Grau hat mit Berlin bisher nur wenig zu schaffen gehabt. Zwischen 1974 und 1983 nahm er acht Alben auf, ohne dass man außerhalb seines Landes groß Notiz davon genommen hätte. Mittlerweile haben ihn allerdings die Berliner DJs und Labelmacher von Sonar Kollektiv aufgespürt und verhelfen ihm zu einer großen Werkschau. Eine überfällige Entscheidung, denn seine Mischung aus Bossa Nova, Funk und Disco kennt keine Angst vor kosmischen Ausflügen und bietet reichlich geschmackssicheren Synthesizer-Kitsch. Tolle Entdeckung!

TIM CASPAR BOEHME

■  BJ Nilsen & Stilluppsteypa / Anla Courtis: „Golden Circle Afternoon“ (Editions Mego/A-Musik) ■  Daniel Grau: The Magic Sound of Daniel Grau (Sonar Kollektiv/Alive)