Höchstes Richteramt unbesetzt

Weil Justizsenator Lüdemann (CDU) mit eigenwilligen Plänen die Wahl des OLG-Präsidenten verzögert, kommt ausgerechnet die Kandidatin zum Zuge, die er nicht will

Ab Ende des Monats steht das Hamburger Oberlandesgericht (OLG) kopflos da. Der langjährige Präsident Wilhelm Rapp tritt in den Ruhestand, und einen Nachfolger für das Amt des höchsten Richters der Stadt gibt es bisher nicht. An qualifizierten KandidatInnen mangelt es nicht: Acht Bewerbungen liegen vor, und alle KandidatInnen gelten als hoch qualifiziert. Trotz des lange absehbaren Ausscheidens von Rapp besteht aber noch keine Einigkeit darüber, wer von ihnen der neue Präsident oder die neue Präsidentin werden soll. Rapp selbst hat seine Stellvertreterin vorgeschlagen, OLG-VizepräsidentIn Erika Andreß, eine in der Richterschaft hoch angesehene Juristin.

Das formelle Vorschlagsrecht aber hat Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) – und der favorisierte Reinhard Wagner, früherer Hamburger Verfassungsschutzchef und derzeitiger Direktor der Bürgerschaftskanzlei. Wagner ist das einzige CDU-Mitglied unter den BewerberInnen.

Die Wahl des OLG-Präsidenten ist eine weitreichende Personalie in der Justiz. Es geht um das höchste Richteramt der Stadt. Und: Es umfasst den breitesten Aufgabenbereich. Denn auch alle Personalentscheidungen der Hamburger Justiz laufen über das OLG: Wer in Hamburg Richter werden möchte, schickt seine Bewerbung dorthin.

Die Entscheidung über die Neubesetzung der Präsidentschaft trifft der so genannte Richterwahlausschuss, dessen Mitglieder aus den Bürgerschaftsfraktionen, der Richterschaft, der Anwaltskammer und aus der freien Wirtschaft kommen. Im Richterwahlausschuss wird die derzeitige Vizepräsidentin Andreß als Rapp-Nachfolgerin klar favorisiert. Senator Lüdemann muss also davon ausgehen, dass sein Kandidat Wagner hier durchfallen wird. Deshalb hat er entschieden, ein weiteres Gremium hinzuziehen: Er will eine Findungskommission gründen, die ihn bei der Suche nach dem Kandidaten oder der Kandidatin berät. Lüdemann bezeichnet das als „Angebot, zu einem breiten Konsens über einen Kandidaten schon im Vorfeld des Richterwahlauschusses zu kommen“. Dessen Mitglieder hingegen sehen das „Angebot“ als Affront: Sie fühlen sich ausgebootet.

Die im Ausschuss sitzenden VertreterInnen von SPD, GAL und Richterschaft haben in Briefen an Lüdemann gegen dessen Pläne protestiert. „Der Richterwahlauschuss lässt sich nicht in Mitglieder erster und zweiter Klasse teilen“, schreibt etwa der GAL-Delegierte Ernst Medecke: „Solche, die mit auswählen und solche, die draußen bleiben müssen.“ Im Übrigen spiegele das von Lüdemann vorgeschlagene Gremium nicht die Kräfteverhältnisse des Richterwahlausschusses wider, sondern verzerre sie.

Lüdemann akzeptiert diese Kritik nicht. Den Vorwurf, er wolle die Rechte des Richterwahlausschusses beschneiden, weist er zurück: „In diesem frühen Stadium der Kandidatensuche ist der Richterwahlausschuss noch gar nicht an dem Verfahren beteiligt“, sagt der Jusitzsenator. Er habe nun einmal das verbriefte Recht, einen Kandidaten vorzuschlagen, und wolle sich dabeiberaten lassen. „Ich möchte eine breite Grundlage für meinen Vorschlag schaffen“, sagt Lüdemann.

Den Verdacht, dass ein Justizsenator politischen Einfluss bei der personellen Besetzung der Gerichte gewinnen will, gab es schon einmal: Lüdemanns Vorgänger Roger Kusch, damals ebenfalls noch CDU-Mitglied, wollte durchsetzen, dass alle Bewerbungen um Richterstellen über seinen Schreibtisch zu wandern hätten. Er wollte dann eine Vorauswahl treffen. Die Gerichtspräsidenten demonstrierten gegen den Eingriff in die Unabhängigkeit der Gerichte – verweigerten Kusch also die Gefolgschaft.

Wie auch immer das weitere Verfahren aussehen wird: Bis Ende des Monates wird die Nachfolge von Rapp nicht geregelt sein. Und je länger es sich hinzieht, umso länger wird ausgerechnet die Kandidatin die Präsidentschaft übernehmen, die Lüdemann mit seinem Verfahren gerade verhindern will: Erika Andreß. Als derzeitige Vizepräsidentin führt sie die Geschäfte des OLG kommissarisch weiter.ELKE SPANNER