Wie klingt eine Flasche Wodka

MUSIK Matthew Herbert hat die Tischlerei der Deutschen Oper zum Studio gemacht

In der Tischlerei wurden spontan Ideen für Klänge entwickelt und aufgenommen

VON ANDREAS HARTMANN

Wahrscheinlich ist es bei jeder Plattenproduktion so: Es wird viel im Studio herumgehangen, Zeit totgeschlagen und sich gelangweilt. Der britische Musikproduzent Matthew Herbert hat die Tischlerei der Deutschen Oper gerade für sieben Tage in ein Tonstudio verwandelt. Dort wurde unter Einschluss der Öffentlichkeit eine Platte produziert. Wer dem Prozess beiwohnen mochte, der musste daher auch etwas Geduld mitbringen, da nicht rund um die Uhr wahnsinnig aufregende Dinge passierten. Jeden Tag zwischen 16.30 Uhr und 22 Uhr wurden Sessions abgehalten. Vor und mit Publikum, als Performance und doch auch für eine ernsthafte Plattenproduktion, vielleicht soll aus der ganzen Veranstaltung am Ende sogar ein Dokumentarfilm werden.

Ist also gerade mal wieder Leerlauf bei der Produktion, kann man sich in der extra eingerichteten Sitzecke verkrümeln, in der sogar ein Fernseher ohne Ton läuft und sämtliche deutsche Tageszeitungen ausliegen. Kreativ lässt es sich scheinbar am besten dann sein, wenn es wirklich entspannt zugeht. Herbert und Band haben sogar eine eigene Köchin mitgebracht, die vor und an einem Produktionstag auch für das Publikum kocht und deren Essensdüfte permanent durch den Raum ziehen. Auch gutes Essen dient schließlich der Ausgeglichenheit des Künstlers.

Die Veranstaltung „The Recording“ hat durchaus auch etwas Didaktisches und Ähnlichkeiten mit einem klassischen Workshop. Einfach nur ums Musikmachen geht es Herbert schon lange nicht mehr. Früher war er ein angesagter Houseproduzent, bis ihm die Clubmusik irgendwann zu formelhaft erschien. Es fehlte ihm der Sinn, die politische Aussage, der intellektuelle Gehalt. Und er begann damit, Samples zu codieren, nahm den Klang eines Burgers auf, um Fastfoodketten zu kritisieren, und verfolgte akustisch das Leben eines Schweins von der Geburt bis zur Verarbeitung zum Kotelett, um gegen Massentierhaltung zu agitieren.

Nicht bei allen kam das ständige Mahnen und Predigen von Herbert gut an, und die Ideen hinter seiner Musik wirkten tatsächlich oftmals interessanter als die Musik selbst. Wie gelungen am Ende die CD, die in den vergangenen Tagen in der Tischlerei entstand und die jeder Besucher von „The Recording“ kostenlos heute Abend bei der Record-Release-Party erhalten wird, vom rein musikalischen Gesichtspunkt her sein wird, das lässt sich noch nicht sagen. Klar ist nur, dass es Herbert sich und seinem Publikum mal wieder nicht einfach gemacht hat.

Jeder Produktionstag bei „The Recording“ hatte ein bestimmtes Überthema, Herbert liebt schließlich Konzepte. An einem Tag durften Besucher ihre Hunde mitbringen, deren Bellen oder Kauen auf einem Hundeknochen aufgenommen wurde, an einem anderen Tag irgendwelche Dinge, die Klänge erzeugen. In der Tischlerei wurden spontan Ideen für weitere Klänge entwickelt und aufgenommen. Abends wurde dann noch diskutiert. Und zwar über typische Herbert-Themen wie etwa: Warum machen wir überhaupt Musik?

Matthew Herbert wird für die heute erscheinende CD wohl das aufgenommene Handyklingeln vom ersten Aufnahmetag verwenden und die Atemübungen der Besucher vom dritten Tag. Wir werden hören, wie eine Flasche Wodka klingt und wie die jüngste und die älteste Person von Tag drei. Und das Gesinge von Tag fünf, als wir Besucher am Singtag dazu aufgefordert wurden, im Chor zu summen – und eben zu singen. Es wird passieren: Wir werden auf der neuen CD von Matthew Herbert zu hören sein. Das ist schon ein wenig cool.

■ Heute Abend ab 20 Uhr Record Release Party in der Tischlerei der Deutschen Oper