Abschiebehaft: Stegner weiß von nichts

Der Beirat für das schleswig-holsteinische Abschiebegefängnis in Rendsburg kritisiert die Inhaftierung von Traumatisierten. Das Innenministerium befürchtet Missbrauch, der Minister erklärt das Problem für nicht existent

Schleswig-Holstein nimmt traumatisierte Flüchtlinge in Abschiebehaft und verstößt damit gegen geltendes Recht. Das sagt der „Landesbeirat für den Vollzug der Abschiebungshaft“, der gestern in Kiel seinen Jahresbericht vorstellte. Der Landesflüchtingsbeauftragte Wulf Jöhnk, der zugleich Mitglied des Beirats ist, sagte, das Gesetz verbiete, Menschen abzuschieben, deren Erkrankung sich in ihrem Heimatland verschlimmere oder nicht kompetent behandelt werden könne.

Auffällig sei, dass Flüchtlinge in unteren Behördeninstanzen sehr häufig scheiterten, ihre Chancen später jedoch bei höheren Gerichten deutlich wüchsen, meinte Jöhnk, der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts war. Manche Juristen hätten beim genauen Betrachten von Entscheidungen schon „den Glauben an den Rechtsstaat verloren“.

„Wir halten es für extrem wichtig, dass bei Traumatisierten auf Haft verzichtet wird“, bekräftigte Beiratsmitglied Wolfgang Neitzel. In einem Fall habe die Polizei einen Kurden abgeholt, bei dem daraufhin Schock-Erlebnisse wieder hochgekommen seien. Wegen akuter Selbstmordgefahr habe das Anstaltspersonal 41 Hafttage lang jede Viertelstunde nach dem Mann sehen müssen, berichtete Neitzel, der im Vorstand von „Refugio“ sitzt, einem Kieler Therapiezentrum für Flüchtlinge.

Der Landesbeirat wurde 2003 unter der rot-grünen Landesregierung berufen, als das Abschiebegefängnis in Rendsburg eingerichtet wurde. Die Arbeit dort sei vorbildlich, sagte der Vorsitzende des Beirats, der Rendsburger Pastor Hans-Joachim Haeger. „Unerträglich“ seien die Rahmenbedingungen.

In seinem Jahresbericht schreibt der Beirat, dass er das Innenministerium gebeten habe, „künftig von Abschiebungshaft für Traumatisierte Abstand zu nehmen“. Das Ministerium habe dies wegen „Missbrauchsgefahr“ abgelehnt.

Nach Vorlage des Jahresberichts meinte Innenminister Ralf Stegner (SPD) nun jedoch, seinem Ministerium sei kein Fall bekannt, bei dem die schleswig-holsteinische Ausländerbehörde Abschiebungshaft beantragt oder fortgesetzt hätte, obwohl Haftunfähigkeit festgestellt worden sei.

In einem Erlass seines Ministeriums würden die Ausländerbehörden ausdrücklich darauf hingewiesen, „dass qualifizierten Hinweisen auf gesundheitliche Beeinträchtigungen in jedem Stadium der Abschiebung nachgegangen werden müsse“. Das gelte auch für das Stadium der Haft, sagte Stegner, der auch SPD-Vorsitzender von Schleswig-Holstein ist. TAZ