Kurzkritik: Christian Jakob über den Bremer Tatort
: Reale Abgründe

Grell ging es zu am Sonntagabend. Fast überall, wohin sich die Kamera des Radio Bremen-Tatorts „Der illegale Tod“ richtete, war es etwas zu viel von allem: Die kriegerisch auf Rache sinnende schwarze Frau. Der sich mit seinem Saufkumpeln in Männerschweiß suhlende Kommissar. Seine von gefühliger Moral getriebene Kollegin und ihre kaltherzige Tochter. Oder die zur Abgründigkeit verfinsterten Gestalten aus der EU-Grenzschutzagentur Frontex und ihre mafiös anmutende Kumpanei mit der Satelliten-Industrie.

Solche Holzschnittartigkeit ist gewöhnlich nur ein Geschmacksproblem. Diesmal nicht: Sie legte den Verdacht nahe, dass der Kern des Plots nur schwache Anleihen bei der Wirklichkeit machte. Doch das verhandelte Verbrechen ist so gegenwärtig wie real: Immer wieder setzen sich die Grenzschützer auf dem Mittelmeer über ihre Verpflichtung zur Seenotrettung hinweg, immer wieder drängen sie Flüchtlingsboote zurück. Unzählige Menschen sterben so. Der im „Tatort“ nur schwach verfremdete Bremer Satelliten-Konzern baut die nötige Überwachungstechnologie.

Dies einem Millionenpublikum in einer Zeit zu präsentieren, in der die Ankunft der Papierlosen an Europas Südgrenzen auf der politischen Bühne Hysterie auslöst, war eine grandiose und mutige Leistung von Radio Bremen.