Von Pierer stürzt über Schmiergeldaffäre

Der langjährige Siemens-Vorstand und jetzige Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer erklärt den Rücktritt. Der Fall zeigt, wie schwierig der Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat ist. Nachfolger Cromme steht für gute Unternehmensführung

VON NICOLA LIEBERT

Heinrich von Pierer räumt nun doch seinen Posten als Aufsichtsratschef von Siemens. Dabei hat er angeblich von nichts gewusst. Zum Beispiel davon, dass in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender des Münchner Weltkonzerns ein ganzes System schwarzer Kassen eingerichtet wurde, aus denen potenzielle Auftraggeber geschmiert wurden. Oder davon, dass mit Millionen aus der Firmenkasse eine vorstandstreue Gegengewerkschaft zur mächtigen IG Metall gepäppelt wurde. Deswegen hatte er einen Rücktritt auch immer abgelehnt, denn dieser Schritt hätte ihm ja als Schuldeingeständnis ausgelegt werden können. Bis zur Nacht auf den Freitag, als der 66-Jährige überraschend doch seinen Rückzug erklärte.

Offenbar hatten zuvor in mehreren Krisengesprächen Mitglieder des Aufsichtsrats, zu dem auch Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und der stellvertretende IG-Metall-Chef Berthold Huber gehören, Pierer zur Kapitulation zu überreden versucht. Ackermann ließ gestern nur verlautbaren, Pierers „persönliche Integrität steht aber außer Zweifel“. Börsianer reagierten weniger pietätvoll. Der Kurs der Siemens-Aktie schoss um fast 4 Prozent nach oben.

Bis zur nächsten Hauptversammlung im Januar 2008 soll nun Gerhard Cromme Pierers Nachfolge übernehmen. Der Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp hat, ähnlich wie Pierer, den Ruf eines Sanierers. Auf sein Konto geht beispielsweise die Schließung des Hüttenwerks Rheinhausen, die mit einem der längsten Arbeitskämpfe der deutschen Nachkriegsgeschichte einherging. Als Krupp-Chef war er auch die treibende Kraft hinter der Fusion der Stahlriesen Thyssen und Krupp 1999.

Crommes Wahl darf als ein kluger Schachzug gelten. Schließlich ist er der Namensgeber der als Cromme-Kommission bekannten Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Zu den zentralen Empfehlungen dieser Kommission für gute Unternehmensführung gehört es, dass kein Vorstandschef gleich nach Ende seiner Amtszeit in den Aufsichtsrat wechseln soll – wie Pierer es 2005 getan hatte. Denn wenn der bisherige Vorstand dort an der Kontrolle seiner eigenen früheren Arbeit mitwirken muss, seien Interessenkonflikte nicht zu vermeiden. Cromme weiß, wovon er redet. Er war bei ThyssenKrupp selbst 2001 direkt vom Vorstand in den Aufsichtsrat gewechselt.

Pierer unterstrich unterdessen in einer Pressemitteilung: „Eine persönliche Verantwortlichkeit mit Blick auf die laufenden Ermittlungen war nicht Grundlage meiner Entscheidung.“ In einem Abschiedsbrief an die Belegschaft klagt er über die „pauschalen Vorverurteilungen in der Öffentlichkeit“ und kritisiert das Vorgehen der Behörden gegenüber „verdienten Mitarbeitern unseres Hauses“ als unverhältnismäßig. Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte vergangenen November bei einer Razzia mehrere Siemens-Manager festnehmen lassen. Später kamen auch zwei ehemalige Vorstandsmitglieder zeitweilig in Haft. Zu den Beschuldigten gehört auch Ex-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger, der als Vertrauter Pierers gilt.

Der bayerische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer bezeichnete Pierers Rücktritt in einem Radiointerview als überfällig: Es gehe „nicht nur um die Frage der persönlichen Verantwortung, sondern auch um eine moralische Verantwortung“. Pierers Aussage, er habe keine Kenntnis von den Schmiergeldzahlungen gehabt, zog der Gewerkschafter in Zweifel: „Das nicht zu wissen, glaubt vielleicht jemand, der sich bei Siemens nicht auskennt – ich glaube es nicht.“

Pierer ist Siemens-Urgestein, war dort schon 1969 als Jurist ein- und 1992 zum Vorstandschef aufgestiegen. Nach innen machte er sich einen Ruf als harter Sanierer, der tausende Stellen abbaute. Nach außen galt der staatsmännisch auftretende Manager, der auch mal als Präsidentschaftskandidat gehandelt wurde, als Aushängeschild der alten Deutschland-AG. Die vertrat er etwa auf Auslandsreisen, wo er um Investoren warb – später auch als Asien-Beauftragter von Bundeskanzler Gerhard Schröder und unter Kanzlerin Angela Merkel als Vorsitzender des Innovationsrates der Bundesregierung. Merkel ließ durch ihren Sprecher mitteilen, sie wolle ihn als Berater behalten.