Bis zum nächsten Mal

Der jüngste Amoklauf in den USA führt weder zu einer Debatte über das Waffenrecht noch zu einer über Außenseiter – er befördert nur eins: die Erkenntnis, dass so etwas immer wieder passiert

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

200 Millionen Schusswaffen sollen in den Nachttischschubladen und Kleiderschränken zwischen New York und San Francisco herumliegen. Täglich 80 Tote durch Schusswaffengewalt in den Vereinigten Staaten. Das macht im Monat um die 2.400 Menschen, die bei Überfällen und Familienstreitereien ihr Leben lassen. Noch weiter gerechnet, summiert sich die Statistik dann auf 28.800 Knarren-Opfer im US-amerikanischen Jahr. Mal ehrlich: Dagegen ist der Irakeinsatz für die US-Soldaten ja offenbar eine Landverschickung.

Achtzig Opfer, jeden Tag

Während aber die toten Soldaten ein Politikum sind – vor allem dann, wenn es sich ausnahmsweise mal um Kids der Mittelschicht handelt –, werden die durchschnittlich 80 Schusswaffenopfer täglich in der Heimat offenbar billigend in Kauf genommen. Es scheint sogar, als ob sich die US-amerikanische Öffentlichkeit mit dem Gedanken abzufinden beginnt, dass Massaker wie das jüngste an der Hochschule von Virginia, bei dem der Täter 32 Menschen sowie sich selbst umbrachte, eben unvermeidbarer Teil einer modernen Gesellschaft sind. Und zwar einer Gesellschaft, in der viele auf dem guten Gefühl bestehen, selbst den Finger am Drücker zu haben.

Hatte es nach dem Massaker an der Columbine High School, ziemlich genau vor acht Jahren, noch eine aufgewühlte landesweite Debatte gegeben, so beschäftigen sich die US-Medien diesmal schon kaum noch mit den fundamentalen Fragen von Waffenkontrolle und Prävention. Die Ursachendebatte nach Virginia 2007 hat nurmehr geisterhaften, rituellen Charakter.

Zwar hebt selbstverständlich nach jedem Massaker in den Vereinigten Staaten eine irgendwie geartete Debatte über eine Verschärfung des Schusswaffenkontrollgesetzes an.

Doch diese Debatte führen in diesen Tagen einzig die Waffen-Lobbyisten der National Rifle Association und andere schießwütige Vereine. Von den Gegnern keine Spur. Das Weiße Haus beeilte sich noch am Tag des Unglücks klarzumachen, wohin die Debatte nicht gehen soll. Präsident George W. Bush ließ wissen, dass Bürger ein „Recht haben, Waffen zu tragen“. Damit war dann auf sensationell unspektakuläre Weise auch schon alles zum Thema gesagt.

Die Politiker beider Parteien jedenfalls äußerten sich nach dem Massaker von Blacksburg zunächst allenfalls vorsichtig entsetzt – schließlich wusste noch niemand genau, wer konkret zu beschuldigen sei. So richtig Lust auf eine erneute Debatte um schärfere Waffengesetzte schien niemand zu haben. Allen voran die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen, beließen es die politischen Repräsentanten des Landes bei rührenden Trauerbekundungen. Und das aus gutem Grund: Das in der Verfassung verbürgte Recht auf Schusswaffenbesitz ist vielen US-Amerikanern heilig.

Die Demokraten zaudern

Auf die Demokraten ist dabei wenig Verlass, wenn es um die Korrektur eines (für Europäer offenkundigen) „Irrwegs der US-Gesellschaft“ geht. Seit dem Wahlkampf im Jahr 2000 haben die US-Liberalen ihre Forderungen nach einer Reform des Waffengesetzes eingemottet – aus Angst, waffentragende Wählende in den sogenannten Swing-States zu vergrätzen. Denn, so eine These, die sich unter Liberalen hartnäckig hält: Al Gore habe die entscheidenden Stimmen damals nur deshalb nicht bekommen, weil er zu sehr auf „Gun control“, also Waffenkontrolle, gedrungen habe. Seit der Präsidentschaft Bill Clintons haben die Befürworter der Waffenkontrolle keinerlei Erfolge mehr erzielen können – oder wollen. Was in der Clinton-Ära noch an vielversprechender Gesetzgebungen auf den Weg gebracht worden war, ist längst im Sande verlaufen.

Die meisten US-AmerikanerInnen haben akzeptiert, dass es in ihrer kapitalistischen Welt eben gefährlich zugeht. No risk, no fun. Setzte die Diskussion nach dem Columbine-Massaker noch auf Prävention, hat Blacksburg eindeutig gezeigt: Auch Prävention kann sich ankündigende Tragödien nicht verhindern.

Der Täter, Cho Seung-Hui, war seit 2005 in psychologischer Behandlung. Er galt als auffällig, man wusste, dass er Gewaltfantasien hatte, doch steckte ihn niemand präventiv in die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie. Niemand hat bislang gefordert, dass nun die Gesetze dahingehend geändert werden müssten, dass Verrückte und Schräge zum Wohle der Allgemeinheit weggeschlossen gehören. Da bleibt dann nur eines: Leben mit Metalldetektoren und der düsteren Gewissheit, dass es demnächst wieder passieren wird.