The Kinshasa Polio Club

MUSIKDOKU In „Benda Bilili!“ zeigen Renaud Barret und Florent de la Tullaye, wie einige körperbehinderte Straßenmusiker aus dem Kongo mit ihrer Mischung Rumba, Blues und Soul international erfolgreich wurden

Der Film ist prall gefüllt mit dem Leben dieser afrikanischen Musiker, ihrer Familien und Freunde, die er als Helden zelebriert

VON WILFRIED HIPPEN

„Gestern habe ich noch auf Kartons geschlafen, heute habe ich eine Matratze!“ Diese kleine Verbesserung der Lebensumstände, dieser winzige gesellschaftliche Aufstieg war für den kongolesischen Sänger „Papa“ Ricky Likabu so bedeutend, dass er sie in einer optimistischen Hymne besang, die auf den Straßen von Kinshasa zu seinem Markenzeichen wurde.

Er singt das Lied gleich zum Beginn dieser Dokumentation und dadurch wird dem Zuschauer schlagartig deutlich gemacht, wie extrem die Vorstellungen von Erfolg und einer erstrebenswerten Existenz davon abhängig ist, wo und unter welchen Umständen ein Mensch lebt. Ricky Likabu ist einer der vielen durch Kinderlähmung verkrüppelten Kongolesen, die unter ärmlichsten Bedingungen als Bettler, Straßenhändler oder Diebe ihr Leben fristen müssen. Doch er hat Talent, kann singen, Gitarre spielen und Songs komponieren, die zugleich so positiv sind und ohne zu beschönigen von dem Leben auf den Straßen von Kinshasa erzählen, dass er als Straßenmusiker bescheidene Erfolge feierte.

2004 gründete er mit anderen körperbehinderten Musikern die Band „Benda Bilili“, die Nachts als eine Kolonne von aus alten Moped- und Fahrradteilen zusammengebastelten Dreirädern die Eingänge von Bars und Restaurants geradezu besetzten, sodass nicht immer klar war, ob die Besucher und Wirte Lohn für die Musik oder Weggeld zahlten. Die vom kongolesischen Rumba, aber auch von Blues und Soul beeinflusste Musik der Band ist eine mitreißende, so noch nie gehörte Stilmischung, doch die Begeisterung des einheimischen Publikums über diese Gruppe von verkrüppelten Habenichtsen hielt sich in Grenzen. Die beiden französischen Filmemacher Renaud Barret und Florent de la Tullaye entdeckten „Benda Bilili“ bei Recherchen über die Straßenmusiker von Kinshasa und wollten zuerst nur dafür sorgen, dass die Band eine CD aufnehmen konnte. Diesen von ihnen selber in Gang gesetzten Prozess begleiteten sie dann mit der Kamera und das Ergebnis ist „Benda Bilili!“. Streng genommen kann er also kaum als Dokumentarfilm bezeichnet werden, weil die Filmemacher ja selber das mitproduziert haben, was sie abbilden. Immerhin kaschieren sie dieses Dilemma nicht, aber es fällt doch auf, dass sie selber nie vor der Kamera auftauchen, sondern nur in knappen aus dem Off gesprochenen Sätzen und Zwischentiteln ihre eigene Rolle beschreiben.

dies war eine klugen Entscheidung, denn so ist der Film prall gefüllt mit dem Leben dieser afrikanischen Musiker, ihrer Familien und Freunde. Oft führen sie natürlich vor der Kamera etwas vor, aber auch diese Szenen fangen das Lebensgefühl der Kongolesen ein. So etwa, wenn gleich in der ersten Einstellung des Films ein junger Mann, dessen Beine durch Polio gelähmt und verkümmert sind, nachts auf der Straße einen Breakdance zeigt, der so akrobatisch, energiegeladen und voller Lebensfreude ist, dass dadurch von Anfang an jedes Mitleid mit diesen Behinderten, in deren Kern auch immer ein wenig Herablassung liegt, verschwindet. Der Film zelebriert sie als Helden und Ricky Liakbu trägt nicht umsonst den Beinamen „Papa“, denn er ist sowohl musikalisch wie auch menschlich die Autorität der Gruppe. Dies zeigt sich vor allem, wenn er den Straßenjungen Roger unter seine Fittiche nimmt, der auf einer einsaitigen Laute spielt, deren Resonanzkörper eine Blechdose ist, und die er sich selber zusammengebastelt hat. Neben Ricky wird Roger der zweite Protagonist der Gruppe, und da die Dreharbeiten sich über fünf Jahre hinzogen, kann man nebenbei auch seine Entwicklung vom scheuen 12-Jährigen zum selbstbewussten Teenager miterleben.

Der Film war keineswegs als eine Langzeitbeobachtung geplant, aber es war ein abenteuerlicher Weg bis zum Abschluss der Plattenproduktion. So verlor die Gruppe bei einem Brand ihr ganzes Hab und Gut und die Aufnahmen wurden deshalb für mehr als ein Jahr unterbrochen. Gerade dies könnte ein Grund für den späteren Erfolg gewesen sein, denn bei den ersten Aufnahmen, die die Musiker je in einem Studio und vor Mikrophonen gemacht haben, sieht und hört man, wie verkrampft, ja ängstlich sie spielen. Ein Jahr später waren die Produzenten/Filmemacher so klug, sie dort aufzunehmen,wo sie sich heimisch und wohl fühlen: im nächtlichen Zoo von Kinshasa. Die Außengeräusche geben den Aufnahmen dabei eine zusätzliche authentische Stimmung und auch für die Kamera ist diese nur mit ein paar Lichtern ausgeleuchtete Aufnahmesession ein sehr dankbares Motiv.

Den folgenden Erfolg haben Barret und de la Tullaye dann leider nicht mehr so sorgfältig und liebevoll mit der Kamera eingefangen. Im letzten Akt wird „Benda Bilili“ zu einem konventionellen Konzertfilm, der jeweils einen Song bei Auftritten in Afrika und verschiedenen Festivals in Europa zeigt. Wie dieser Erfolg Ricky, Roger und die anderen verwandelt hat, wird nur in ein paar Gesprächsszenen in Hotelzimmern angerissen, aber nicht wirklich gezeigt. Stattdessen gibt es noch viele Bilder von den dick eingemummelten und trotzdem frierenden Musikern in Oslo, die auf den modernen Rollstühlen in Europa manchmal dann doch wieder wie bemitleidenswerte Behinderte aussehen. In ihren selbst gebastelten Dreirädern waren sie dagegen majestätische Gestalten.