Abba bitte mit Dirndl

Kirstens Reinhardts Gastrokritik: Wer Glück hat, wird in den Enzian-Stuben in Berlin-Steglitz von berlinernden Trachtendamen bedient

Ein Familienbetrieb mit österreichischer Bauernküche und das mitten in Berlin oder doch zumindest im Tarifbereich AB des öffentlichen Nahverkehrs. Der Name hört sich gut an: Enzian-Stuben. Vor dem inneren Auge öffnet sich sofort die Tür einer Holzhütte zu einer zünftig-verrauchten Wirtsstube. Eine, in der die Semmelknödel noch mit der Hand geformt werden. Eine, in der der Wirt jeden Gast beim Vornamen ruft.

Wer derart romantisch veranlagt ist, sollte sich die Kehrseite der Provinz in Erinnerung rufen. Die besteht in Brokkoli, an dem noch das Tiefkühlfach zu schmecken ist, in blinkenden Spielautomaten und in vier von vier Suppen mit Fleischbrühe als Basis.

Vegetarier haben in den Enzian-Stuben wenig verloren. Das einzige fleischlose Hauptgericht auf der Karte (Wiener Schnitzel! Jungschweinbraten! Rumpsteak!) sind Käsespätzle – und die schmecken mäßig.

Wer jedoch Vegetarier ist, der für Nachspeisen und Alkohol lebt – für den lohnt sich der Besuch dann doch. Denn es gibt Hirter Bier aus Kärnten und ein karamellig-samtiges Dunkelbier namens Kapsreiter Landbier vom Fass aus Oberösterreich. Der Grüne Veltliner vom Weingut Viktor Kattinger aus Wien ist eiskalt-frisch und passt gut zur Frittatensuppe, einer Rindfleischbrühe mit winzigen Fettäuglein und kleinen Streifen Palatschinken. Der Kaiserschmarren kommt in einer riesigen Portion, dazu gibt’s Apfelmus oder Pflaumenkompott.

Der beste Platz im ganzen Lokal ist der runde Tisch, der sich in einen kleinen Erker schmiegt. Der Gast nimmt dort seine Mahlzeit im Kreise der gesamten Familie Rechelbacher ein: Opa Rechelbacher legt auf einem Schwarzweißfoto als fescher junger Mann einen eleganten Hüftschwung auf einer österreichischen Skipiste hin; eine junge Dame mit perfekter Haartolle blickt rehäugig von einem 50er-Jahre-Porträt, und ein Schnappschuss aus den 70er Jahren zeigt den Wirt mit orangefarben getönter Brille und Schützenscheibe. Beim Essen lässt sich über den Niedergang der Porträtfotografie sinnieren. Im Hintergrund läuft Berliner Rundfunk. Highlights des Abends: Abba, Grönemeyer und Bryan Adams. Von der Theke her knarzen Altmännerstimmen, und wer Glück hat, wird von einer berlinernden Dame mit Dirndl bedient. Wer schlau ist, mietet für ein paar Runden die Kegelbahn im Keller und bestellt per Drehscheibentelefon von unten ein paar Marillenbrände. Die brennen ein herrliches Loch in die Zunge und danach ist sicher auch der Brokkoli verdaut.

ENZIAN-STUBEN, Enzianstr. 5, Mo.–Sa. 11 bis 24 Uhr, So. bis 23 Uhr, S 1 Botanischer Garten, Frittatensuppe 2,90 €, Kaiserschmarren 4,90 €, Wiener Schnitzel 14,90 €. TIP: Die Kegelbahn mieten und per Haustelefon bestellen