berliner szenen Magic Arrow

Mutti will alles wissen

Mutti will, wenn sie hier ist, immer nur spazierengehen. Zwischendurch stellt sie vollkommen blödsinnige Fragen. Zeigt auf ein Plakat und fragt: Was ist das denn für Musik? Oder ist in Charlottenburg, sieht einen Bus und fragt: Fährt der auch nach Kreuzberg? Oder steht vor einem Haus und fragt: Kann man das kaufen? Ich weiß darauf nie Antworten.

Am liebsten geht sie in Kreuzberg spazieren. Am allerliebsten auf dem Türkenmarkt am Maybachufer, den sie für einen Geheimtipp hält. Dort kauft sie Knöpfe und Perlen. Tütenweise. Der arme Türke zählt sie mit der Hand, verkündet laut die Zwischenstände und zählt dann manchmal bei der Hälfte des Betrags weiter. Mutti zahlt den Betrag, der eigentlich richtig wäre. Auch Rabatte beim Fladenbrot lassen sie lächeln, aber zahlen tut sie den vollen Preis.

Der letzte Spaziergang mit Mutti war am Samstag. Ich hatte sie etwas kompliziert zur Oberbaumbrücke geführt. Die erkennt sie immer wieder und freut sich dann. Am Eis-Pizza-Knotenpunkt in der Falkensteinstraße wartete sie wieder mit einer bescheuerten Frage auf: „Omas Apfelkuchen? Was ist das denn für eine Sorte?“ Am Mariannenplatz sperrte die Polizei gerade die Straßen, und Mutti wollte stehen bleiben, bis eine Fahrraddemo vorbeifuhr. „Schöne Idee“, befand sie als Radsportinteressierte und marschierte weiter bis zur nächsten Ecke, an der Freunde von mir standen, mit Sekt in der Hand und roten Plastikpfeilen auf dem Kopf. Das hier sei eine Promotionveranstaltung für den Magic Arrow, ein neues Produkt, das schnellstmögliche Aufmerksamkeit garantiere, erklärten sie mit Sektaugen. Mutti flüsterte mir zu: „Das musst du mir gleich noch mal erklären, was das hier soll.“ LAURA EWERT