„Jetzt muss etwas komplett Neues entstehen“

Der Ausgang des ersten Wahlgangs zeigt für die französische Schriftstellerin Geneviève Brisac: „Frankreich ist verwundet“ – und stehen in der Geschlechterfrage ganz hinten

GENEVIÈVE BRISAC, 56, Autorin zahlreicher Romane, hat auch Kinderbücher veröffentlicht und den Literaturpreis Prix Femina bekommen.

taz: Sie haben einen Aufschrei gegen den Frauenhass auf Ségolène Royal veröffentlicht. Aus dem ersten Durchgang der Wahlen ist sie als zweitstärkste Kandidatin hervorgegangen. Fühlen Sie sich jetzt besser?

Geneviève Brisac: Kein bisschen. Das war kein Aufschrei. Sondern eine Beschreibung. Ich war empört. Und ich bin weiterhin höchst erstaunt über den sozialen Frauenhass, der immer neue Formen annimmt.

Was meinen Sie mit „sozialem“ Frauenhass?

Das ist eine kollektive Offenkundigkeit. Eine Infragestellung ihrer Kompetenz. Seit Wochen höre ich – vor allem übrigens von Frauen –: „Ich hasse sie.“ Begründung: „Ich ertrage sie nicht.“ Die Kandidatin wird ihnen immer zu klein, zu schwach bleiben.

Dieses Leitmotiv haben Sie auch am Wahlabend wiedergefunden?

Ich habe es auch subjektiv an mir erlebt. Zuerst war da die Erleichterung, dass Ségolène Royal es geschafft hat, in den zweiten Durchgang zu kommen. Und gleichzeitig die Enttäuschung: Sie hat schon im Voraus verloren. Diesen Defätismus haben viele empfunden.

Dabei hat Royal ein super Ergebnis eingeholt. Seit 1981 hat niemand auf der Linken so gut abgeschnitten.

Es ist tatsächlich ein sehr gutes Ergebnis. Aber ohne die Kommunistische Partei. Jetzt muss etwas komplett Neues entstehen, um das nötige Kräfteverhältnis zu bekommen. Etwas anderes als jene alte linke Allianz. Die Logik der Zahlen und der Versuch der traditionellen Politiker, die Wähler des Zentrums zu überzeugen, wird nicht ausreichen.

Sie sprechen von „traditionellen Politikern“, als wäre Ségolène Royal keine von ihnen. Dabei kommt sie aus dem Apparat der PS und ist seit Jahrzehnten im Parlament, in der Regierung, in der Region. Was an ihr ist nicht traditionell?

Sie hat ein Bewusstsein dafür, was Frauen in der Politik zugemutet wird. Sie sagt immer: Ich bin eine freie Frau, ich werde die Wähler und Wählerinnen verkörpern. Das mag utopisch erscheinen. Aber ich glaube, das ist realistisch und konkret.

Auch Nicolas Sarkozy bewirbt sich als Einzelgänger.

Das ist ein enormer Unterschied. Nicolas Sarkozy hat am Wahlabend eine Rede gehalten hat, die das Gegenteil dessen beinhaltete, was er vorher gesagt hat. Vorher suchte er die Stimmen der Rechtsextremen. Am Wahlabend wandte er sich dann der Mitte zu. Royal hingegen blieb in der Kontinuität ihres Diskurses. Sie hat sich nicht nach rechts geöffnet, wie sie es hätte tun können.

Sarkozy hat sich in kämpferischer Pose gezeigt. Royal trat ganz in Weiß auf, wie eine Braut, sprach von Frieden. Das sind Stereotype.

Mir ist die Farbe egal. Wenn es darum geht, dass sie ein Land im Frieden will und eine friedliche Gesellschaft statt einer, die permanent in Konfrontation ist, bin ich völlig einverstanden.

Wie erklären Sie den Katzenjammer trotz gutem Ergebnis?

Da gibt es diesen alten Kniff, von dem schon Françoise Giroud gesprochen hat: Um gleich zu sein, müssen Frauen besser sein. Um anerkannt zu werden, hätte Royal vor Sarkozy sein müssen.

In dieser Kampagne spielt vieles im Bereich Mann/Frau. Aber niemand spricht es aus.

Das ist wie bei dem Rassismus. Den spricht auch niemand aus.

Warum geschieht das jetzt, im Jahr 2007 in Frankreich?

Ich glaube, dass Frankreich eine enorme Verspätung bei den Geschlechterverhältnissen hat. Obwohl es die Heimat von Leuten wie Marguerite Duras ist. Das sehen wir nicht nur im Parlament. Sondern auch in der Kultur. Am Wahlabend gab es entsetzliche Reden. Bernard Tapie hat sinngemäß gesagt, dass sie nicht das nötige Zeug haben, um einen Anzug auszufüllen. Niemand hat dagegengehalten.

Wo sind Royals Reserven?

Frankreich ist ziemlich verwundet: durch die Arbeitslosigkeit, die soziale Gewalt, die Probleme der kommunitaristischen Widersprüche. Um diese Probleme zu lösen, brauchen wir Beschwichtigung. Und das finden wir nicht bei einem Nicolas Sarkozy, bei dem spürbar ist, wie persönlich sein Einsatz für ihn ist. Für Ségolène Royal ist es eine kollektive Angelegenheit.

Wie wird Frankreich nach der Wahl von Royal?

Spannend. Es wird sich öffnen. Ein sozialer Bruch könnte repariert werden. Mir scheint, wir könnten besser atmen.

INTERVIEW: DOROTHEA HAHN