Zwei Wochen Kopfzerbrechen

Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen beginnt in Paris ein neues Rechenspiel. Die Sieger müssen um die Gunst der Unterlegenen kämpfen

Gestern wurde das vorläufige amtliche Endergebnis der Wahl bekanntgegeben, in dem nun auch die Stimmen der rund 820.000 wahlberechtigten Franzosen im Ausland enthalten sind. Die Wahlbeteiligung war die dritthöchste in einer ersten Runde seit Einführung der Direktwahl des französischen Präsidenten 1965. Wahlberechtigte: 44.472.867 Wähler: 37.255.846 gültige Stimmen: 36.723.900 Wahlbeteiligung: 83,77 % Nicolas Sarkozy (UMP, Konservative): 11.450.011; 31,18 % Ségolène Royal (PS, Sozialisten): 9.501.214; 25,87 % François Bayrou (UDF, Liberale): 6.820.882; 18,57 % Jean-Marie Le Pen (FN, Rechtsextreme): 3.834.996; 10,44 % Olivier Besancenot (LCR, Trotzkisten): 1.498.780; 4,08 % Philippe de Villiers (MPF, Nationale): 818.645; 2,23 % Marie-George Buffet (PCF, Kommunisten): 707.294; 1,93 % Dominique Voynet (Grüne): 576.740; 1,57 % Arlette Laguiller (LO, Trotzkisten): 487.940; 1,33 % José Bové (Globalisierungskritiker): 483.062; 1,32 % Frédéric Nihous (CNPT, Jäger): 420.759; 1,15 % Gérard Schivardi (PT, Arbeiterpartei): 123.577; 0,34 % AFP

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Ein Mann und eine Frau teilen sich den Sieg. Doch den Schlüssel zur Macht halten nach der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen zwei Männer in der Hand: der Rechtsliberale François Bayrou und der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen. Sie überlegen noch, ob und für wen sie eine Wahlempfehlung für den zweiten Durchgang am 6. Mai abgeben werden. Beide erwarten Gesten von den SiegerInnen, dem Rechten Nicolas Sarkozy und der Sozialdemokratin Ségolène Royal. Bayrou will sich noch in dieser Woche äußern, Le Pen am 1. Mai, wenn seine rechtsextreme Partei traditionell zum Denkmal von Jeanne d’Arc zieht.

Le Pen, der sein schlechtestes Wahlergebnis seit den späten 80er-Jahren eingefahren hat, hielt am Sonntagabend eine kurze Rede vor einer beinahe leeren Halle. Die politische Mitte feiert in Paris bereits das Ende der Bewegung des 78-Jährigen. Linke hingegen zeigen sich bekümmert darüber, dass zahlreiche Ideen von Le Pen Einzug in das offizielle Programm des aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten Sarkozy gehalten haben – und damit demnächst im Élysée-Palast residieren könnten. Die Organisation Ras l’front, die schon seit Jahren gegen Le Pen kämpft, meint: „Seine Ideen haben das ganze politische Leben Frankreichs angesteckt.“

Den größten Fortschritt im ersten Durchgang machte der Rechtsliberale Bayrou. Er hat seinen Stimmenanteil verdreifacht. Am Sonntag jubelte Bayrou, als wäre er der Wahlsieger. Strahlend teilte er seinen AnhängerInnen mit: „Frankreich hat jetzt ein Zentrum.“

Katzenjammer hingegen in weiten Teilen der Linken. Mit Ausnahme des trotzkistischen Briefträgers Olivier Besançenot von der LCR, der mit einem Ergebnis von 4,5 Prozent knapp eine halbe Million Stimmen dazugewann, haben alle Linken ihren Schnitt verschlechtert. Am härtesten trifft es zahlenmäßig die Grünen. Ihre Kandidatin Dominique Voynet stürzte auf 1,5 Prozent ab (nach 5,3 im Jahr 2002). Die sechsfache Präsidentschaftskandidatin der zweiten trotzkistischen Organisation, LO, Arlette Laguiller, erhielt nur 1,4 Prozent; fünf Jahre zuvor waren es 6 Prozent. Dramatisch ist auch der Niedergang der einst größten aller französischen Parteien. Die Kommunistin Marie-George Buffet bekam nur 2 Prozent (nach den schon misslichen 3,4 Prozent im Jahr 2002). Der globalisierungskritische Bauer José Bové, er erst Anfang des Jahres in den Wahlkampf gegangen war, bekam nur 1 Prozent der Stimmen. Der dritte Trotzkist Gérard Schivardi blieb unter 0,5 Prozent.

Die radikalen Linken erklären ihr schlechtes Abschneiden mit dem „Syndrom des 21. April“. Aus Angst vor einem neuerlichen Durchmarsch des Rechtsextremen in den zweiten Durchgang, so die gängige Analyse, hätten sich die WählerInnen schon im ersten Durchgang für eine „nützlichen Stimmabgabe“ entschieden, statt die Bewegung ihrer Sympathie zu wählen. Das „nützliche Wählen“ begünstigte offensichtlich die Sozialdemokratin Royal, aber auch den Rechtsliberalen Bayrou. Das Syndrom des 21. April trug auch zu der rekordhohen Wahlbeteiligung von mehr als 85 Prozent bei. 2002 hatten sich viele Franzosen geschworen, dass sie „beim nächsten Mal“ wählen gehen würden. Andere, die das noch nicht getan hatten, ließen sich in die Wählerlisten eintragen. Eine zwingende Voraussetzung, um an den Wahlen teilnehmen zu dürfen.

Angesichts ihres schlechten Abschneidens hat die Linke nur wenig Möglichkeiten, auf das Programm von Ségolène Royal einzuwirken. Wenn die Sozialdemokratin gewinnen will, ist sie rechnerisch auf WählerInnen aus der Mitte angewiesen.

Am Wahlabend ließ sich Sarkozy von MotorradreporterInnen durch Paris verfolgen. Aus dem heruntergekurbelten Fenster ließ er seinen Ellenbogen heraushängen und hielt grinsend den ausgestreckten Daumen hoch – wie ein Fußballstar. Ségolène Royal ließ die WählerInnen lange auf ihre Ansprache warten. Dann trat sie, ganz in Weiß gekleidet, vor die Kameras. Wie die Braut aller Franzosen.