Gewalt regiert die Wahlfarce

Trotz massiver Kritik im In- und Ausland erklärt Nigerias Wahlkommission den Regierungskandidaten Yar’Adua zum Sieger

VON DOMINIC JOHNSON
UND ILONA EVELEENS (LAGOS)

Appollinaire Malu-Malu ist einiges gewöhnt. Als Chef der Wahlkommission in der Demokratischen Republik Kongo letztes Jahr musste er in einem riesigen Bürgerkriegsland und ohne Infrastruktur die ersten freien Wahlen der Geschichte organisieren. Jetzt leitet Malu-Malu eine internationale Wahlbeobachterdelegation in Nigeria und wundert sich. „Der Wahlprozess in Nigeria fällt hinter bisherige und internationale Standards zurück“, konstatiert die von ihm geführte Delegation des US-amerikanischen International Republican Institute in ihrem Bericht über die Präsidentschafts- und Parlamentswahl in Afrikas bevölkerungsreichstem Land am Wochenende. Moniert werden „Fehler in den Wählerlisten, vorab gefüllte Wahlurnen, Anleitung der Wähler durch Beobachter und Polizei, Wählen in der Öffentlichkeit, Fehlen von Ergebnislisten und anderen Materialien, gefälschte Ergebnislisten.“

Noch nie, da sind sich Beobachter einig, war eine Wahl in Nigeria so chaotisch wie die am vergangenen Samstag. In weiten Landesteilen fand überhaupt keine Abstimmung statt, weil Wahlzettel nicht ankamen, nur als Kopie ausgeliefert wurden oder in der Hand der Sicherheitskräfte blieben. Anderswo wurden Urnen von Funktionären mit Stimmen für die Regierungspartei gefüllt. Schon die Gouverneurswahlen eine Woche zuvor waren von schwerwiegenden Fälschungen begleitet.

„Eine demokratische Regierung, die auf solchem Betrug gründet, kann keine Legitimation haben“, warnt das Bündnis einheimischer Wahlbeobachter Transition Monitoring Group (TMG) und fordert eine Wahlwiederholung. Extrem scharfe Kritik äußerten auch die Wahlbeobachter der EU. „Diese Wahlen haben den Hoffnungen und Erwartungen des nigerianischen Volks nicht entsprochen, und der Wahlprozess kann nicht als glaubwürdig gewertet werden“, sagte Delegationsleiter Max van den Berg gestern in Abuja. Bei und zwischen den beiden Wahlgängen vom 14. und 21. April, so die EU-Beobachter weiter, kamen über 200 Menschen in Nigeria gewaltsam ums Leben.

Sogar Staatschef Olusegun Obasanjo gestand gestern in einer Fernsehansprache ein, die Wahlen seien „nicht perfekt“ gewesen. Unbeirrt erklärte die Wahlkommission Inec am Nachmittag den Präsidentschaftskandidaten der regierenden People’s Democratic Party (PDP), Umaru Musa Yar’Adua, zum klaren Wahlsieger mit 24.638.063 Stimmen gegen 6.605.299 für seinen wichtigsten Rivalen, Muhammadu Buhari von der im Norden starken All Nigerian People’s Party (ANPP). Das wäre ein viel höherer Sieg als vor vier Jahren, als der bisherige Staatschef Obasanjo etwa doppelt so viele Stimmen erhalten hatte wie Buhari.

Der Oppositionsführer hat nun mit Massenprotesten gedroht. In Yenagoa im Ölfördergebiet des Nigerdeltas verwüsteten Rebellen bereits das Gouverneursbüro von Yar’Aduas designiertem Vizepräsidenten Goodluck Jonathan und riefen „den Beginn einer neuen Phase unseres Kampfes“ auf.

Aber mit schweren Unruhen wird nicht gerechnet. Das Spiel ist gelaufen, scheint Mehrheitsmeinung in Nigeria zu sein. „Es ist sehr schwer, in Nigeria große Massen zum Protest auf die Straße zu bringen“, warnt in Lagos Pat Utomi, geachteter Intellektueller und Präsidentschaftskandidat einer Kleinpartei. „70 Prozent der Bevölkerung leben in absoluter Armut, und nach einem Tag ohne Einkommen hungern sie. Aber das zeigt auch, was acht Jahre Obasanjo-Herrschaft uns gebracht haben. Die Ölpreise sind gestiegen, und die Nigerianer sind ärmer geworden.“

Radikale wie Wole Soyinka, die schon den Widerstand gegen die Militärherrschaft 1983–99 organisierten, gehen einen anderen Weg: Sie hoffen, dass das noch amtierende alte Parlament die Wahlen für ungültig erklärt, bevor am 29. Mai die Machtübergabe an den nächsten Präsidenten erfolgt. Stattdessen soll dann eine neutrale Übergangsregierung die Macht übernehmen, geleitet vom Präsidenten des Obersten Gerichts, und ordentliche Neuwahlen organisieren. Aber kaum jemand wird für diese Forderung auf die Straße gehen.