Keine Prozesse

aus Freiburg CHRISTIAN RATH

Die Schüsse auf Siegfried Buback 1977 könnte ein anderes RAF-Mitglied abgegeben haben, als bisher vermutet. Stefan Wisniewski soll der Schütze auf dem Motorrad gewesen sein und nicht Knut Folkerts. Die juristischen Folgen:

Droht Stefan Wisniewski nun eine Anklage wegen Mordes? Grundsätzlich gilt für die Polizei das Legalitätsprinzip. Wenn sie von einer Straftat erfährt, muss sie ermitteln. Mord verjährt nicht, und Wisniewski stand im Zusammenhang mit dem Buback-Attentat bisher nicht vor Gericht. Ein Ermittlungsverfahren könnte also gegen ihn eingeleitet werden.

Allerdings sind die Hinweise auf Wisniewskis Täterschaft nicht sehr zwingend. Belastet wird Wisniewski zum einen durch den Ex-RAFler Peter Jürgen Boock, der aber schon öfter seine Darstellungen später korrigieren musste. Zum anderen hat laut Spiegel die ehemalige RAF-Angehörige Verena Becker Anfang der 80er gegenüber dem Verfassungsschutz Wisniewski als Schützen benannt.

Diese Aussage war bisher unbekannt und niemand weiß, wie verlässlich sie ist. Aber auch Becker ist eine problematische Zeugin, weil sie möglicherweise selbst an der Tat beteiligt war. Manche halten sie sogar für die Schützin: Drei Wochen nach dem Anschlag wurde sie mit der Tatwaffe im Gepäck festgenommen. Außerdem, so die SZ, gab es damals keinerlei Sachspuren wie Fingerabdrücke, die auf eine Tatbeteiligung Wisniewskis hindeuteten.

Falls ihm der Mord an Buback vor Gericht doch bewiesen werden kann, müsste Wisniewski wohl nur noch wenige Jahre ins Gefängnis, denn er saß wegen der Beteiligung an der Schleyer-Entführung bereits 20 Jahre in Haft, und dies würde bei einer neuen Strafe berücksichtigt.

Muss das Verfahren gegen Knut Folkerts neu aufgerollt werden? Vermutlich nicht. Folkerts wurde 1980 wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes an Buback verurteilt. Im damaligen Urteil blieb offen, wer welchen Tatbeitrag leistete. Die Ermittler vermuteten zwar, dass Folkerts der Schütze auf dem Motorrad war, konnten dies jedoch nicht belegen. Beweise gab es allerdings dafür, dass Folkerts vorher den Tatort ausgespäht hat, so erinnert sich Klaus Pflieger, der damalige RAF-Ermittler und heutige Stuttgarter Generalstaatsanwalt. An einer Einstufung von Folkerts als Mittäter des Buback-Attentates würde sich für Pflieger nach den neuen Erkenntnissen nichts ändern, und das Verfahren gegen ihn müsste nicht zu seinen Gunsten neu aufgerollt werden. Dafür spricht auch, dass Folkerts laut Spiegel bei einer Veranstaltung in Zürich 1997 bereits zugegeben hatte, dass er zumindest an der Vorbereitung des Buback-Mordes beteiligt war. Insofern kommt es wohl nicht darauf an, wo er sich am Tattag aufhielt. Die Ex-RAF-Angehörige Silke Maier-Witt hat laut Spiegel 1990 ausgesagt, Folkerts sei am Tag des Anschlags in den Niederlanden gewesen. Folkerts wurde 1995 nach 18 Jahren aus der Haft entlassen.

Durfte der Verfassungsschutz die Informationen über Wisniewskis Tatbeteiligung zurückhalten? Für den Verfassungsschutz gilt das Legalitätsprinzip nicht, das heißt, er muss der Polizei nicht zwingend melden, wenn er von Straftaten erfährt. Vielmehr müssen hier alle Interessen abgewogen werden. Wenn die inhaftierte RAFlerin Verena Becker damals tatsächlich mit dem Verfassungsschutz kooperierte, gab es – aus Sicht des Dienstes – gute Gründe, dies geheim zu halten und ihre Aussage nicht in ein Strafverfahren einzubringen. Dem standen auch keine überragenden Interessen gegenüber. Da der Mord an Buback bereits begangen war, konnte er nicht mehr verhindert werden. Wenn Folkerts in anderer Form an der Tat beteiligt war, gab es auch kein Fehlurteil zu korrigieren. Und da Wisniewski wegen Schleyer ohnehin hinter Gitter musste, blieb auch kein Terrorist in Freiheit. Das Verhalten des Dienstes war also möglicherweise sogar zulässig.