LIEBESERKLÄRUNG
: Nachtzüge

DIE BAHN STELLT VERBINDUNGEN EIN – UND VERKENNT DAMIT DIE SCHÖNSTE ALLER REISEFORMEN

Mit Nachtzügen ist es ähnlich wie mit Roter Bete. Man kann sie lieben oder hassen, viel dazwischen gibt es nicht.

Langsam reisen. Die halbe Nacht im Speisewagen verbringen und interessante Leute kennenlernen. Früh am Morgen mitten in der Stadt aus dem Zug purzeln, statt anderthalb Stunden mit der Bahn oder eine mit dem Taxi vom Flughafen ins Zentrum zu fahren. Man sollte Leuten, die glauben, nur das Ziel sei das Ziel, nicht die Illusion nehmen – aber definitiv der Deutschen Bahn das Monopol im Personenfernverkehr. Wie kann sie es einfach unmöglich machen, abends in den Zug zu steigen und morgens in Paris aufzuwachen? Wie kann sie so völlig übersehen, dass es beim Nachtzugfahren nicht nur um eine verhältnismäßig ökologische Fortbewegung geht, sondern um eine Art zu reisen?

Natürlich, es wäre so viel einfacher zu hassen. Wenn man – zum Beispiel – im Nachtzug von Zürich im Liegewagen, mittlere Pritsche, schläft. Es versucht. Denn ganz oben liegt ein schnarchender Alkoholiker, ganz unten seine stinksaure Frau. Die nicht schnarcht. Aber schimpft. Um die Ecke die Toilette, die laut dem in Plastik gehüllten Plan an der Tür vor einer Stunde, real aber vermutlich vor vier Tagen zum letzten Mal gereinigt wurde. Und dazu ein Defekt in der Klimaanlage, der dazu führt, dass abwechselnd eiskalte oder maximal heiße Luft in den Raum geblasen wird.

Aber. Wenn man mitten in der Nacht, aufgewacht davon, dass der Zug seit einiger Zeit nicht mehr ruckelt, sondern hält, aus dem Fenster schaut, in einen Provinzbahnhof oder in die hell erleuchtete Halle eines Spurwechslers, und sich die Wagen dann langsam wieder in Bewegung setzen, die Nacht vorbeizieht, Landschaften, die man sonst nie sieht und vor allem nicht so, dann ist doch wieder alles: gut. SVENJA BERGT