ORTSTERMIN: ZWEI ST.-PAULI-PROFIS VERHELFEN SICH SELBST ZU EINEM ABSCHIEDSSPIEL
: Ein bittersüßer Abgang

Lechner und Eger grölen, mit Leuchtfackel, Bierbuddel und glimmender Kippe bewaffnet, St.-Pauli-Lieder in Dur und Moll

Dass Marcel Eger und Florian Lechner nach sieben Jahren beim FC St. Pauli im Stadion des Lokalrivalen Altona 93 ihren Ausstand geben würden, hatten die Fußballprofis selbst nicht gedacht. Ihre Verträge werden nicht verlängert, doch erfahren haben sie das erst nach dem letzten Heimspiel. Statt mit warmen Abschiedsworten vor 24.000 Fans sollte ihre Zeit am Hamburger Millerntor sang- und klanglos zu Ende gehen. Aber nicht mit Eger und Lechner: Sie riefen ihren Ex-Mitspieler Marvin Braun an, der inzwischen eine Sportagentur betreibt – und binnen einer Woche stand das Event.

Eger & Friends gegen Lechner & Friends lautet die Spielpaarung. Fast der komplette Bundesliga-Kader des FC St. Pauli ist da, viele ehemalige Mitspieler sind angereist. Der „Alte Stamm“, die Seniorenriege des FC St. Pauli, singt den beiden scheidenden Verteidigern ein inbrünstiges Ständchen. Feuerwerkskörper nebeln die halbe Adolf-Jäger-Kampfbahn ein, auf Transparenten finden sich Wortspiele wie „For ever and eger“. Auf dem reichlich ramponierten Grün regiert der grobe Unfug. Rauchen und Biertrinken ist während der Partie ausdrücklich nicht nur den Zuschauern erlaubt. Bei Strafstößen stehen auch schon mal zwei Torhüter im Kasten. Und Mittelfeldspieler Thomas Meggle kassiert innerhalb von nur zwei Minuten gleich drei gelbe Karten. Als die beiden Protagonisten schließlich des Feldes verwiesen werden und zur Ehrenrunde ansetzen, brandet das unvermeidliche „You’ll never walk alone“ aus über 4.000 Kehlen auf.

Auf der Zuschauertribüne gibt es nur ein Thema: Die unwürdige Verabschiedung der beiden Verteidiger, mit denen der Club aus der Regionalliga bis in die Bundesliga aufstieg. Und mit Ralph Gunesch hängt noch ein dritter, ebenso lange aktiver Spieler in der Warteschleife, ohne dass jemand mit ihm gesprochen hätte. Immer wieder fällt in diesem Zusammenhang der Name Helmut Schulte. Der Sportchef, das wird hier deutlich, hat in den vergangenen Wochen einen rapiden Imagewandel von der Kultfigur zum soliden Feindbild vieler Fans erfahren.

Als es dunkel wird, geht die Party im „Knust“ weiter, am Rande des Hamburger Schanzenviertels. Lechner und Eger grölen auf dem Vorplatz, mit Megafon, Bierbuddel und glimmender Kippe bewaffnet, St.-Pauli-Lieder in Dur und Moll, bevor sie Utensilien aus sieben Jahren bei St. Pauli versteigern. Schweißbänder, alte Buffer und Trikots gehen für bis zu 200 Euro über den Tisch, zugunsten der Vereine Dunkelziffer und Viva con Agua, die auch 16.000 Euro Eintritts-Spenden aus der Abschiedspartie erhalten. Dann tauchen Eger und Lechner in ein Meer von Abschiedsumarmungen, das sie für den Rest der Nacht verschluckt.

Draußen vor dem Knust gehen die Diskussionen über die Zukunft des Absteigers zwischen Fans und einem Dutzend noch anwesender Spieler bis weit nach Mitternacht weiter. Von keinem Aktiven ist auch nur ein positives Wort über Sportchef Schulte zu hören – das Tischtuch zwischen ihm und der Mannschaft scheint zerschnitten. Doch das braucht Lechner und Eger, die es zum Abschluss ihrer Fußballerkarriere nach England und Australien zieht, nun nicht mehr zu kümmern. Sie haben sich die Party nicht vermiesen lassen. MARCO CARINI