Mit Daniel Haaksman nach Rio, mit Rotfront um die Welt

Balkan und Brasilien, das fängt nicht nur beides mit „B“ an, sondern hat auch musikalisch allerhand gemeinsam. Wer’s nicht glaubt, sollte „Rambazamba“ von Daniel Haaksman hören. Der Berliner hat nahezu im Alleingang dafür gesorgt, Baile Funk hierzulande bekannt zu machen. Er hat den Rap aus den Ghettos von Rio de Janeiro als DJ unermüdlich aufgelegt und wegweisende Compilations zum Thema zusammengestellt, außerdem betreibt er die Miniplattenfirma Man Recordings, das wichtigste Baile-Funk-Label außerhalb Brasiliens. Bevor er Baile-Prophet wurde, hatte Haaksman bereits ein anderes Label gegründet: Essay. Partner war ein gewisser Stefan Hantel, der unter dem Künstlernamen Shantel längst mit tanzbodentauglich aufbereiteten Klängen aus Osteuropa eine nicht unerhebliche Bekanntheit erreicht hat. Mit „Rambazamba“ führt Haaksmann nun beide Welten zusammen.

Da taucht der alte Freund Shantel als Gast auf und bringt noch das Boban Markovic Orkestar mit, das in „Dubcheck“ fröhlich vor sich hin posaunt und bläst, während der Beat begeistert zuckt, als feiere eine Romasippe Doppelhochzeit. So geht es weiter: Der tiefergelegte Bass wummert geradeaus und gemeingefährlich, dann wieder swingt der Rhythmus ein bisschen verzögert und verspielt. Es wird gerappt und gesungen, elektronisch programmiert und akustisch improvisiert. Der Baile Funk bleibt meist dominant, während der Balkan zusätzlich noch konkurrieren muss mit arabischen und afrikanischen, karibischen und sogar indischen Klängen. Erstaunlich: Haaksman räumt hemmungslos alle weltmusikalischen Schubladen aus, ohne dass es chaotisch wird. Wie er das macht? Ganz einfach: Er ordnet alles dem gnadenlos pumpenden Beat unter.

Man kann diese Fusionsleistung natürlich auch von der anderen Seite des Globus aus angehen, so wie Rotfront. Die Band um den Kaminer-Kumpel Yuriy Gurzhy, den musikalischen Direktor der „Russendisko“, demonstriert auch auf ihrem zweiten Album „VisaFree“, das natürlich auf Shantels Essay Recordings erscheint, dass Musik ernste Probleme mit Grenzziehungen hat. Ist ja auch kein Wunder, wenn man Mitglieder aus Ungarn, der Ukraine, Australien, den USA und Deutschland hat. Aber Rotfront wechseln schon sehr mutwillig zwischen jamaikanischem Ska und polnischer Polka, jiddischem Klezmer und kolumbianischem Cumbia, zwischen Rap und Rock und überhaupt. Der einzige gemeinsame Nenner ist ein leicht melancholischer Tonfall, der selbst noch bei zackigen Partynummern wie „Real Berlin Wedding“, der Hymne auf einen bislang unterschätzen Bezirk, durchschlägt.

Dieser provokativ postmoderne Entwurf ist im Vergleich zum Debütalbum von vor zwei Jahren eindeutiger ausformuliert. „Emigrantski Raggamuffin“ war verspielter, verlor sich aber auch bisweilen im Bemühen, den verschlungenen Biografien aller Bandmitglieder gerecht zu werden. „VisaFree“ wirkt dagegen wie das Destillat der Ausgangsidee: jeder Song ein Hit über Grenzen hinweg. THOMAS WINKLER

■  Daniel Haaksman: „Rambazamba“ (Man Recordings/Alive), live am 21. 5. im Lido

■  Rotfront: „VisaFree“ (Essay/Indigo), live am 15. 6. im SO36