„Kohle ist nicht zu ersetzen“

JOSEFSSON

LARS GÖRAN

PRÄSIDENT UND CEO VON VATTENFALL AB (HAUPTAMTLICH) SOWIE KLIMABERATER VON ANGELA MERKEL (EHRENAMTLICH)

29. OKTOBER 1950

KREUZWORT-RÄTSEL-KILLER (LAUT PRESSESPRECHER) UND KLIMA-KILLER (LAUT UMWELTVERBÄNDEN)

INTERVIEW M. KREUTZFELDT
UND M. SCHRÖDER

taz: Herr Josefsson, Ihr Unternehmen ist der drittgrößte Klimasünder Europas. Und Sie sind Klimaberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Haben Sie eine gespaltene Persönlichkeit?

Lars Göran Josefsson: Nein, ich sehe überhaupt keinen Interessenkonflikt. Als Energieversorger tragen wir ja auch Verantwortung, und Vattenfall empfinde ich als Teil der Lösung, nicht des Problems.

Aber es gibt doch klare Widersprüche: Als Unternehmer wollen Sie Geld verdienen und darum die Luft mit Ihren Kraftwerken kostenlos verschmutzen. Als Klimaberater sollten Sie sich für das Gegenteil starkmachen.

Nicht unbedingt. Auch als Unternehmer darf ich nicht durch kurzsichtiges Denken die Firma gefährden. Wir dürfen also nicht nur darauf schauen, wie viel Gewinn wir in den nächsten ein bis zwei Jahren machen können, sondern sollten an die nächsten 10 bis 20 Jahre denken.

Bisher haben Sie aber durchaus noch Ihre kurzfristigen Interessen im Blick. Ende März haben Sie in einem Brief an Merkel vor der „Diskriminierung der Braunkohle“ gewarnt. Wie hat die Kanzlerin reagiert?

Wir haben nicht im Detail darüber gesprochen. Aber die Energiepolitik der deutschen Regierung setzt langfristig auf den heimischen Energieträger Braunkohle. Und wir sind uns einig, dass die Braunkohle und der Klimaschutz vereinbar sind.

Das muss Sie als Unternehmer ja freuen. Schließlich setzt Vattenfall besonders stark auf diesen klimaschädlichsten Energieträger. Aber wie sehen Sie das als Klimaberater: Darf die Kohle wirklich eine Zukunft haben?

Konventionelle Kohlekraftwerke wären langfristig ein großes Problem. Aber wir werden die Anlagen auf das so genannte CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage, siehe Kasten) umstellen, so dass sie kaum mehr CO2 ausstoßen werden.

Und wann werden die ersten dieser Anlagen laufen?

Den kommerziellen Einsatz erwarte ich optimistisch gerechnet 2015 – und realistisch bis spätestens 2020. Ab diesem Zeitpunkt werden wir keine neuen Anlagen mehr ohne CCS bauen und die alten Kraftwerke nachrüsten.

Bis dahin will die EU-Ratspräsidentin Merkel die Emissionen schon um bis zu 30 Prozent gesenkt haben.

Das ist davon unabhängig und wird durch andere Maßnahmen erreicht werden müssen. Aber langfristig führt kein Weg an CCS vorbei.

Das Verfahren ist äußerst umstritten. Es ist fraglich, ob es technisch funktioniert und sich wirtschaftlich rechnet.

Diese Fragen können wir alle beantworten. Die Technik wird funktionieren. Und wenn sich die Bedingungen so entwickeln, wie wir erwarten, wird sie auch wirtschaftlich sein. Wenn der Ausstoß von Kohlendioxid einen Preis hat und es eine Obergrenze für den Ausstoß gibt, wird es günstiger sein, das Gas abzuscheiden.

Was passiert, wenn das Gas aus den unterirdischen Speichern wieder austritt?

Natürlich brauchen wir ein Kontrollsystem für die Lagerstätten. Damit muss geklärt werden, was passiert, wenn plötzlich Kohlendioxid ausströmt.

Warum setzen Sie auf diese aufwändige und unsichere Technik und nicht auf Alternativen, die schon heute funktionieren? Die erneuerbaren Energien wachsen stark. Bis 2020 möchten die alternativen Produzenten 35 Prozent des Stroms in Deutschland erzeugen.

Ich glaube nicht, dass erneuerbare Energien Kohle in Deutschland ersetzen können und erst recht nicht in der ganzen Welt. Sie werden kurzfristig nicht die notwendige Strommenge bringen können – ganz zu schweigen von der fehlenden Wirtschaftlichkeit.

Einspruch. Das Umweltbundesamt hat berechnet, dass Windräder auf See schon 2020 günstiger Strom erzeugen können als Ihre CCS-Kraftwerke.

In einer umfangreichen Studie mit McKinsey haben wir alle global verfügbaren CO2-Vermeidungstechniken analysiert und bewertet. Das Ergebnis ist recht eindeutig: Wir können es uns gar nicht leisten, nur auf eine Technik zu setzen. Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen: mehr Effizienz, saubere Kohle, Kernkraft und erneuerbare Energien. Und ohne CCS lässt sich das Ziel nicht erreichen. Wenn wir es nicht machen würden, müssten es andere machen.

Der deutsche Kraftwerksbetreiber Steag erwartet, dass sich die Erzeugungskosten für Kohlestrom verdreifachen, wenn bei Kohlekraftwerken das CO 2 abgeschieden wird.

In der Energiebranche zählen wir sicher zu den Optimisten, was CCS angeht. Die Amerikaner rechnen mit 50 Euro Zusatzkosten je abgeschiedene Tonne CO2, RWE geht von 40 Euro aus. Ich kann nicht nachvollziehen, wie sie zu diesen Zahlen kommen. Wir rechnen mit 20 Euro. In den nächsten 20 Jahren werden wir technisch so viel dazulernen, dass wir selbst überrascht sein werden, wie billig das Verfahren wird.

Und was werden Sie tun, wenn die CCS-Technik doch nicht funktioniert?

Beim „Carbon Capture and Storage“-Verfahren (CCS) soll das Kohlendioxid (CO2) in Kohlekraftwerken aus den Abgasen abgetrennt, verdichtet und über Pipelines zu unterirdischen Lagerstätten transportiert werden. Infrage kommen dafür etwa alte Erdgasfelder, doch es ist fraglich, ob eine dauerhafte sichere Lagerung möglich ist. Weiteres Problem: Das Verfahren verbraucht viel Energie und könnte die Kosten für die Erzeugung von Braunkohlestrom von derzeit 2 Cent pro Kilowattstunde verdoppeln bis verdreifachen. TAZ

Das ist eine sehr hypothetische Frage. Aber dann müssten wir uns etwas anderes einfallen lassen. Es kann passieren, dass die Technik teurer wird, als wir erwarten. Wenn es günstigere Alternativen gibt, wird CCS natürlich nicht zum Einsatz kommen. Wenn nicht, dann müssen wir halt mehr bezahlen.

Bisher will die Energiebranche möglichst wenig bezahlen. Die Zertifikate für Kohlendioxid-Emissionen werden auf Druck der Wirtschaft immer noch umsonst ausgegeben.

Das ist in der Tat ein Problem. Ökonomisch wäre es die effizienteste Lösung, diese Zertifikate komplett zu versteigern.

Und diese Lösung unterstützen Sie?

Auf lange Sicht: ja.

Und warum nicht sofort?

Wegen der Versorgungssicherheit. Wenn alle Zertifikate plötzlich versteigert würden, wäre das ein Schock für den Energiemarkt. Viele Anlagen müssten aus finanziellen Gründen stillgelegt werden. Die Strompreise würden hochgehen, die Versorgung unsicher werden.

Aber die Versteigerung würde doch gerade dazu führen, dass die ineffizientesten Kraftwerke vom Netz gingen. Das ist doch das, was Sie immer fordern: eine marktwirtschaftliche Lösung.

Ja, eine radikal-marktwirtschaftliche Lösung. Aber die Kosten wären kurzfristig einfach zu hoch.

Ab wann halten Sie es für machbar?

Die komplette Versteigerung kann frühestens 2020 kommen. Wichtig ist, dass die EU frühzeitig einen Zeitplan festlegt, damit sich alle darauf einstellen können.

Und dann würden Sie ohne Protest bezahlen?

Ja.

In Deutschland haben die Konzerne die Strompreise erhöht, obwohl sie die Zertifikate kostenlos bekommen haben. Können Sie verstehen, dass die Kunden empört sind?

Absolut; menschlich ist das verständlich. Aber es ist nun mal so, dass es einen Marktpreis für Strom gibt, und den steuern wir nicht. Dieser Marktpreis wird von den Zertifikaten beeinflusst, da sie in die Kostenrechnung der Kraftwerke einfließen. Ein rational handelnder Marktteilnehmer muss entscheiden, ob es günstiger ist, ein Zertifikat zu verkaufen oder sein Kraftwerk zu betreiben. Das ist die marktwirtschaftliche Logik des Emissionshandels.

Kürzlich wurden die Regeln für die nächste Emissionshandels-Periode beschlossen. Braunkohlekraftwerke werden weiterhin bevorzugt, aber weniger stark als von der Industrie gefordert. Rechnen sich Ihre Anlagen künftig noch?

Der viertgrößte Stromerzeuger Europas kommt aus Stockholm. Der Konzern Vattenfall ist zu 100 Prozent im Besitz des schwedischen Staats und gewinnt seinen Strom – anders als der Name (deutsch „Wasserfall“) impliziert – überwiegend aus Kohle und Atomkraft. In Deutschland ist Vattenfall drittgrößter Stromanbieter und betreibt unter anderem fünf Braun- und sechs Steinkohlekraftwerke. Vattenfall plant vier neue Kohlekraftwerke, darunter eine Anlage auf Braunkohlebasis in Boxberg (Sachsen). TAZ

Ja, die Rechnung dürfte für uns noch aufgehen. Die geplanten Investitionen werden wir tätigen können.

In Berlin liegen Ihre Pläne für ein neues Kohlekraftwerk dennoch auf Eis. Die öffentliche Vorstellung des Projekts mussten Sie Ende März kurzfristig absagen, nachdem es politische Bedenken gab. Sind neue Kohlekraftwerke der Bevölkerung noch vermittelbar?

Die Entscheidung über das Kraftwerk Klingenberg ist noch nicht gefallen, und es wird kurzfristig auch keinen Beschluss geben. Generell denke ich, dass die Gesellschaft Teil des Entscheidungsprozesses sein muss. Häufig werden aber falsche Informationen verbreitet. Vielleicht sollten wir die Bevölkerung zu Diskussionen einladen, um mit ihr über die Vor- und Nachteile der Kohlekraftwerke und der Alternativen zu sprechen.

Eine Alternative, die Vattenfall propagiert, ist Atomkraft. Mit der Bundesregierung gibt es Streit, weil Sie das AKW Brunsbüttel länger laufen lassen wollen als geplant, entgegen den Beschlüssen zum Atomausstieg …

… nein, das steht der Vereinbarung nicht entgegen. Es ist doch nur die Frage, ob die längere Laufzeit genehmigt wird oder nicht. Das ist ein juristisches Problem.

Aber in Deutschland lehnen drei Viertel der Bevölkerung Atomkraft ab. Werden Sie sich an den Ausstieg halten, oder wollen Sie auch nach 2020 noch AKWs betreiben?

Wenn die Bevölkerung das nicht will, dann sollte unsere Firma sicher keine Kernkraftwerke mehr betreiben. In Schweden wächst die Zustimmung in der Bevölkerung allerdings weiter, auch nach dem Störfall in Forsmark. Der Klimawandel hat dazu beigetragen.

Der Ökonom Nicholas Stern hat den Klimawandel als das größte Marktversagen aller Zeiten bezeichnet. Hat er recht?

Nein. Es gibt nur zum Teil ein Marktversagen, zu einem anderen Teil ein Politikversagen. Aber im Grunde tragen wir als Individuen die Verantwortung. Die Menschen sind nicht ökonomisch rational. Damit die richtigen Entscheidungen fallen, muss die Politik nachhelfen.