Kleine Entspannung wird große Sucht

ALKOHOLISMUS Sabine Vittiglio war gestresst von Arbeit und Familie und begann zu trinken. Sie hört erst auf, als ihre Kinder sie nicht wecken können

Die Hamburgische Landesstelle für Suchtfragen veranstaltet eine Aktionswoche Alkohol vom 21. bis 29. Mai.

■ Aktionsorte sind öffentliche Plätze, Einkaufszentren, Betriebe, Verwaltungen, Arztpraxen, Apotheken, Kirchengemeinden.

■ Referenten kommen aus Beratungsstellen, Präventionsprojekten und Selbsthilfegruppen.

■ Alle Veranstaltungen unter: www.aktionswoche-hamburg.de

Im Winter 2002 nahm ihr Leben eine plötzliche Wende. Elf Tage vor Weihnachten trennte sich ihr damaliger Mann von ihr, der jüngste Sohn war erst ein halbes Jahr alt und die alleinerziehende Mutter von drei Kindern stand mittellos vor dem Sozialamt.

Für die 40-Jährige brach damals eine Welt zusammen. Das Scheitern ihrer Beziehung, die Sorge um die Kinder und die finanzielle Notlage zogen mehr und mehr Probleme nach sich. Sie musste ihren Dienst als Servicekraft in einem Krankenhaus aufstocken, um das nötige Geld zu verdienen. Die Kinder verlangten nach ihrer Mutter, insbesondere der Kleinste, der unter dem ADHS-Syndrom mit Emotionsstörung litt. Das Leben der gelernten Köchin war von Stress und Frust dominiert. Da half am Abend schon mal der Wein.

„Am Anfang war es nur ein Glas, am Anfang waren es Sekt und Wein“, sagt sie mit ruhiger Stimme, „dann wurde es eine Flasche, dann zwei, dann drei und schließlich bin ich auf Korn und Wodka umgestiegen.“ Wenn die Kinder im Bett waren, die Belastung des Tages langsam nachließ und sich der Abend mit Dunkelheit füllte, fing Sabine Vittiglio mit dem Trinken an.

Was als harmloses Entspannungsritual begann, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer Sucht. Als die Kinder ihre Flaschen entdeckten und auskippten, begann sie den Alkohol zu verstecken. Als ihre Mutter sie vorsichtig mahnte: „Biene, findest du nicht, dass du ein bisschen zu viel trinkst?“, spielte sie den Ernst der Lage herunter. Das ging etwa zwei Jahre so – mit einem Flachmann in der Tasche, zur Sicherheit.

Doch eines Morgens ist der Rausch so stark, dass die Arbeitsstelle anruft, weil Frau Vittiglio nicht erschienen ist. Die Kinder versuchen vergeblich ihre Mutter zu wecken, haben Angst um sie und befürchten das Schlimmste. „Das war das Schlüsselerlebnis für die Entscheidung zur Therapie“, erklärt die damals alkoholkranke Frau.

Heute ist Sabine Vittiglio seit knapp sieben Jahren trocken, sie ist bekennende Guttemplerin und engagiert sich unter anderem als Suchtbeauftragte im Unfall-Krankenhaus Boberg. „Die Guttempler“ ist eine Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Alkoholproblemen. Bei den Guttemplern fand auch Sabine Vittiglio damals Hilfe. Sie vermittelten sie zu einem Verein, der Unterstützung bei der Therapie als auch bei der Kinderbetreuung und der Nachsorge organisierte.

Es war ein großer Schritt für die alleinerziehende Mutter, die Sucht einzugestehen und sich offen zu ihr zu bekennen. Sie sagt: „Am meisten Angst hatte ich davor, dass mir die Kinder weggenommen werden. Zum Glück haben wir als Familie viel Hilfe bekommen.“ Ihre Erfahrung zeigt, dass es besser ist, die Menschen auf ihre Alkoholprobleme hinzuweisen: „Erst als ich auf der Arbeit gesagt habe, dass ich eine Therapie mache, haben meine Kollegen gesagt, sie hätten etwas gemerkt und sich gesorgt.“ Das Gespräch sei eigentlich zu spät gekommen, sagt sie.

FRANZISKA WINTER