Migrant Arun Rajeenkumar
: „Die Krawalle sind schwachsinnig“

„Ich bin zwar in Spandau geboren. Aber mit drei Monaten sind wir bereits nach Kreuzberg gezogen, direkt ans Kottbusser Tor. Solange ich mich erinnern kann, habe ich also jedes Jahr den 1. Mai miterlebt. Natürlich durfte ich als Kind und später auch als Jugendlicher an diesem Tag nicht auf die Straße. Dafür haben meine Eltern schon gesorgt. Dabei war es lange Zeit ein Wunsch von mir, nicht nur zuzugucken, sondern auch mal selbst dabei zu sein. Aber auch von oben herab war es schon spannend zu beobachten, wie die Krawalle anfingen, irgendwann die Autos brannten und die Menschen dann in Massen fluchtartig vor den anrückenden Bullen wegrannten. Das sah schon toll aus.

Vor drei Jahren habe ich meinen Eltern dann gesagt, dass ich an dem Abend ausgehen möchte. Und da habe ich zum ersten Mal auf direkter Augenhöhe mitgekriegt, wie Mist gebaut wurde. Ehrlich gesagt war ich enttäuscht. Denn da ist mir aufgefallen, wie schwachsinnig eigentlich alles ist. Seit einigen Jahren gibt es ja das Straßenfest. Dort habe ich mich mit meinen Kumpels einige Stunden aufgehalten. Als es dann abends richtig abging, sind wir schnell nach Hause gegangen und haben vom Balkon zugeschaut, wie die Steine flogen.

Bei mir ist es so: Auch wenn ich auf der Straße bin und zuschaue, muss ich mitrennen. Denn wenn ich stehen bleibe, könnte ich verhaftet werden. Für die Polizei sehen wir Kids doch alle gleich aus. Angst habe ich zwar nicht, weil man eigentlich gut einschätzen kann, was auf einen zukommt. Ich merke es, wenn es extrem wird.

Von meinen Freunden kenne ich niemanden, der bei der Randale mitmacht. Im Gegenteil: Die meisten von ihnen sind als Security-Mitarbeiter bei den Konzertbühnen vom Myfest aktiv. Die passen auf, das nichts passiert. Ich habe nur solche Freunde. Vom Sehen kenne ich natürlich schon ein paar Jungs, die jedes Jahr mitmischen. Warum? Ich glaube, just for fun. Diesen Kick, Steine werfen, nicht erwischt zu werden, und dann abhauen – das ist so wie in einem Spiel. Die wollen immerzu Action erleben und dazugehören.

Mir ist schon aufgefallen, dass es seit zwei, drei Jahren deutlich lockerer geworden ist am 1. Mai. Viele beteiligen sich an dem Fest. Es gibt Konzerte, es wird gesungen, getanzt und so. Deswegen: So spannend ist der 1. Mai für viele auch nicht mehr.

Ansonsten hat der 1. Mai für mich aber keine große Bedeutung. Politik ist nichts für mich. Ich halte mich da lieber raus.

PROTOKOLL: FELIX LEE

Arun Rajeenkumar, 21, lebt fast genauso lange im Hochhaus am Kottbusser Tor. Derzeit ist er Bürofachkraft des deutschtürkischen Labels PlakMusic in Neukölln.