„Gott sei Dank ist die CDU keine Kompanie“

Im Streit um Oettinger kamen aus der CDU konservative Töne wie lange nicht. Die Partei darf sich aber auf keinen Fall nur als konservativ verstehen, sagt der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler. Denn so ginge die Mitte verloren

HEINER GEISSLER, 77, war CDU-Generalsekretär und Familienminister unter Helmut Kohl. Er sah sich immer in der Tradition der katholischen Soziallehre. Als Generalsekretär profilierte er seine Partei als programmatischer Erneuerer und durch Tabubrüche, mit denen er Linke wie Rechte erzürnte. Auch die Konservativen in der CDU empörte er regelmäßig. Heute hält er Vorträge und warnt seine Partei vor neoliberaler Politik.

taz: Herr Geißler, mit dem Streit um Günther Oettingers Rede ist auch das von Hans Filbinger 1979 gegründete Studienzentrum in Weikersheim in die Diskussion gekommen. Wie hat es sich aus Ihrer Sicht entwickelt?

Heiner Geißler: Die nationale Frage stand relativ rasch im Vordergrund. Die Einwanderung, die Frage der deutschen Vergangenheit und die Vertreibung. Im Wesentlichen waren es Themen, die man gemeinhin als rechte Themen bezeichnet.

Heute sitzen dort im Präsidium renommierte Christdemokraten wie Manfred Rommel neben Männern, die Verbindungen zur so genannten Neuen Rechten haben. Ist das gut?

Ich finde es nicht so gut. Aber das müssen die CDU-Politiker wissen, die da drinsitzen. Es ist ja nicht so, dass in Weikersheim rechtsradikales Gedankengut propagiert wird. Sie testen dort manchmal die Belastungsfähigkeit der Demokraten. Man geht an die Grenze oder ein bisschen drüber. So wie jetzt der frühere General Günzel eingeladen werden sollte oder der ehemalige CDU-Abgeordnete Hohmann. Aber wir sind eine freie Gesellschaft und dann können sich die Leute auch in Weikersheim zusammentun. Das darf nur mit der CDU nichts zu tun haben.

Wie soll die CDU mit Politikern umgehen, die Falsches oder Zweideutiges über den Nationalsozialismus sagen?

Das darf nicht akzeptiert, die Grenze darf nicht überschritten werde.

Wo verläuft die Grenze?

Die Grenze zum Rechtsradikalismus ist immer dann überschritten, wenn es keine klare Distanzierung vom Nationalsozialismus gibt. Durch nationalistische, durch antisemitische und ausländerfeindliche Aussagen, falsche Erziehungsvorstellungen, etwa wenn die Prügelstrafe propagiert werden würde. Wenn eine europafeindliche Diktion einreißen würde oder die Gleichberechtigung der Frau in Frage gestellt werden würde. Wenn der Schritt vom Konservativen und Nationalkonservativen zum Rechtskonservativen gegangen wird. Dann muss man sich damit in der Partei offensiv auseinandersetzen.

War Angela Merkels Eingreifen nach Oettingers Filbinger-Rede richtig?

Das macht sie absolut richtig. Sie hat ja nicht gesagt: Oettinger muss widerrufen, sondern eine Empfehlung gegeben, wie man es hätte richtig machen können.

Können Sie Parteifreunde verstehen, denen die CDU nicht mehr konservativ genug ist?

Konservativ ist etwas, was zur CDU gehört. Obwohl es oft ein Fehler der Leute ist, wie sie zum Beispiel in Weikersheim sitzen, nur das Konservative mit der CDU zu identifizieren. Die CDU hat konservative Wurzeln, hat christlich-soziale Strömungen in sich aufgenommen, aber auch liberale. Daraus ist die Union entstanden. Das wird von den Konservativen oft nicht gesehen. Es wird der Versuch unternommen, CDU und konservativ gleichzusetzen. Diese Leute merken gar nicht, dass sie damit das Geschäft des politischen Gegners betreiben. Der SPD kann nichts Besseres passieren, als wenn sich die CDU-Leute zu rein Konservativen entwickeln würden. Dann hätten sie die CDU dort, wo heute die Tories in England stehen. In einer ewigen Minderheitenposition um 30 Prozent herum.

Sehen Sie in der CDU Versuche, sehr konservative Töne identitätsstiftend einzusetzen?

Es hat in der jüngerer Zeit eine Diskussion um die Leitkultur gegeben. Das war der Versuch einer Identitätsfestlegung, wobei gar nicht richtig definiert worden ist, was es eigentlich sein soll. Es werden Begriffe manchmal bewusst offen gelassen, damit auch die Rechten zustimmen können. Oder die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft 1999. Da versuchen Verantwortliche der Union Konservative anzusprechen.

Muss die CDU so etwas tun, um Rechtsradikalen das Wasser abzugraben?

Franz Josef Strauß hat immer wieder gesagt: CDU/CSU müssen eine Politik betreiben, dass rechts von ihnen keine Partei entstehen kann. Das ist natürlich völlig unmöglich. Es hat ja rechts von der CDU immer Parteien gegeben. Wenn man verhindern wollte, dass es die NPD gibt, müsste die CDU rechtsradikale Themen besetzen. Das darf sie nicht. Es wäre auch wahlpolitisch falsch. Selbst wenn sie da noch zwei oder drei Prozente gewinnen würde, würde sie in der Mitte zweistellig verlieren.

In Ostdeutschland führen manche CDU-Politiker einen Existenzkampf gegen die NPD.

Da muss jeder aufpassen, dass er nicht durch rechtsradikale Töne versucht, den Wahlkreis zu halten. Auch in Ostdeutschland hat die NPD keine Mehrheit. Jeder muss wissen, dass er nicht um ein paar Prozentpunkte willen die Seele der Partei verkaufen darf.

Im Streit um seine Rede ist Oettinger außer Jörg Schönbohm kein hochrangiger Politiker beigesprungen. Sterben die Konservativen in der CDU aus?

Wir sind christliche Demokraten und haben natürlich auch konservative Standpunkte, zum Beispiel Grundsätze wie die Menschenrechte, die immer gelten. Aber für manche entspringt das Konservative mehr einem Machtdenken. Schönbohm ist einfach ein Geschlossenheitsfanatiker, der alles daran misst, ob die Partei geschlossen auftritt. So wie eine Kompanie, die man antreten lässt und dann sagt: rechts oder links um. In einer Demokratie ist das aber nicht möglich. Gott sei Dank.

INTERVIEW: GEORG LÖWISCH