Entflechtung kein Allheilmittel

Matthias Kurth, Chef der Bundesnetzagentur, hält mehr Wettbewerb bei Strom und Gas für möglich – auch ohne eine Zerschlagung der Energiekonzerne

MATTHIAS KURTH, 55, ist seit 2001 Präsident der Bundesnetzagentur. Kurth arbeitete Ende der 80er als Richter am Landgericht Darmstadt. Von 1991 bis 1994 war er parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im hessischen Landtag und bis 1999 Staatssekretär im Wirtschaftsministerium in Hessen.

taz: Herr Kurth, kann es auf einem Markt, der von vier großen Energiekonzernen dominiert wird, überhaupt richtigen Wettbewerb geben?

Matthias Kurth: Selbst mit wenigen Anbietern kann Wettbewerb geschaffen werden. Es ist ein Kurzschluss, anzunehmen, wo nur vier Anbieter sind, entstehe keine Konkurrenz. Das haben die Erfahrungen aus dem Mobilfunkbereich gezeigt. Obwohl dort zwei Unternehmen 80 Prozent Marktanteil haben, gibt es heftigen Wettbewerb und sinkende Preise.

Aber bei der Energie, vor allem beim Gas, haben sich die großen Anbieter – anders als beim Mobilfunk – regionale Monopolstellungen gesichert.

In der Tat ist das für Privatkunden ein erheblicher Nachteil. Die Vertriebskanäle und der Netzzugang waren so, dass es bei Gas bis vor kurzem überhaupt keine alternativen Angebote gab, und auch bei Strom war es zunächst schwierig, ist aber schon länger machbar. Man sieht also: Ein Markt, der monopolisiert ist, ändert sich nicht über Nacht zu einem Wettbewerbsmarkt. Es muss ein System von vielen Entscheidungen geben, die in die richtige Richtung führen. Die Vorstellung, eine eigentumsrechtliche Entflechtung sei das alleinige und ausreichende Allheilmittel, führt in die Irre.

Die EU-Kommission und auch Verbraucherschützer sehen das anders.

Ich bin nicht der Kronzeuge gegen eine eigentumsrechtliche Entflechtung. Die ausschließliche Fokussierung darauf halte ich allerdings auch nicht für richtig. Mit einer Abtrennung der Netze allein gibt es noch keinen einzigen neuen Anbieter und kein einziges neues Kraftwerk. Es gibt in Europa Länder, in denen die Netze dem Staat gehören oder die sich als eigentumsrechtlich entflochten betrachten. Ist dort die Situation in allen Fällen für die Verbraucher besser?

Die deutschen StromkundInnen dürfen bald mit sinkenden Preisen rechnen. Gestern beschloss das Bundeskabinett, dass das Kartellamt in Zukunft bei überhöhten Energiepreisen sofort eingreifen darf. Laut dem neuen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen müssen die Energieanbieter außerdem belegen, dass ihre Preise gerechtfertigt sind. Bislang mussten die StromkundInnen selbst nachweisen, dass die Preise zu hoch waren – was für Einzelpersonen ohne Fachwissen sehr schwierig ist. Die Verbraucherverbände begrüßten den Schritt: „Nun wird der Missbrauch der Energiewirtschaft zum Teil abgestellt“, sagte Holger Krawinkel, Energieexperte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Der Handelspreis des Stroms liege in Deutschland fast 30 Prozent über marktgerechten Preisen: „Diese Differenz wird jetzt abgeschöpft“, so Krawinkel. Die Strompreise von durchschnittlich 700 Euro pro Haushalt im Jahr würden um rund 50 Euro sinken. Wirtschaftsminister Glos (CSU) erwartet „kurzfristige Verbesserungen“ für die VerbraucherInnen. MOE

Die EU-Kommission sagt Ja. Also noch mal: Wie denken Sie über eine Enteignung?

Das ist ein harter Begriff. Wir müssen auf jeden Fall erreichen, dass Stromhandel und Stromerzeugung vielfältiger werden, dass die Auswahl größer wird. Mehr Wettbewerb bekommen wir nur hin, wenn neue unabhängige Erzeuger eine Chance erhalten. Daran arbeiten wir erfolgreich – und drängen darauf, dass die Netze bedarfsgerecht ausgebaut werden. Ob das besser über den Weg einer eigentumsrechtlichen Entflechtung geschieht oder aber die Konzerne die Netze behalten, die dann beispielsweise auch von einer unabhängigen Agentur betrieben werden könnten, wird derzeit geprüft – auch auf der Ebene der europäischen Regulierer. Auf keinen Fall möchten wir aber, dass ein jahrelanger Streit über diese Frage entsteht, der notwendige Netzinvestitionen erschweren würde. INTERVIEW: TAREK CHAFIK