BERLINER PLATTEN
: Urbane Nacht und ländlicher Tag

Sind ganz schon rumgekommen mittlerweile, die beiden. Als Tarwater haben Bernd Jestram und Ronald Lippok die große weite Welt bereist. Haben hier und dort so lange gespielt, dass man sie eher im Ausland kennt als in ihrer Heimatstadt Berlin, haben da Hörspiele aufgenommen, anderswo was mit Kunst gemacht und sind Bus gefahren zusammen mit dem Sun Ra Arkestra. Zwar nicht in den Weltraum, aber immerhin durchs schottische Hochland. Dort nahm der Song „Arkestra“ seinen Anfang. Heute ist er ein verträumtes Gitarrengezupfe, das kontrastiert wird mit metallen schabenden Beats, während der ältere der beiden Lippok-Brüder abgeklärt singt von der Sonne, die aufgeht. „Arkestra“ ist der kürzeste Song auf „Spider Smile“, dem nun schon zehnten Album des Duos, das dereinst aus den Resten des Ostberliner Underground-Projekts Ornament & Verbrechen entstand, aber nichtsdestotrotz ein symptomatischer. Wieder einmal haben Jestram und Lippok ihre Idee von Bar-Musik festgehalten, die elegant klingt, großstädtisch und für manchen Geschmack vielleicht ein wenig zu sehr nach den Neunzigerjahren. Allerdings: Wozu sollte man am Bewährten herumdoktorn? Sie ist endgültig abgeschlossen, die Entwicklung von der vornehmlich ums Atmosphärische bemühten Instrumentalband hin zur abgeklärten Cocktail-Electronica-Band. Ronald Lippok gibt eine Berliner Version von Sinatra mittlerweile recht überzeugend, mit Jestram schraubt er im Studio immer noch wundervoll abgeklärte Tracks zusammen. Besonders ist diesmal vor allem die schwerpunkthafte Beschäftigung mit Amerika: „Shirley Temple“ und „Lower Manhattan Pantoum“ heißen die Songs, oder auch „When Love Was The Law in Los Angeles“. Sind eben ganz schön rumgekommen, die beiden.

Auch nicht gerade ein Stubenhocker ist Peter von Poehl. Der Sohn eines Deutschen und einer Schwedin wuchs im Land seiner Mutter auf, ging nach Österreich und Venezuela und vor bald zehn Jahren nach Frankreich, geriet dort in das Umfeld des Übervaters Bertrand Burgalat und arbeitete später als Gitarrist, unter anderem auch bei den Sangesversuchen von Michel Houellebecq. Seit drei Jahren lebt er nun vornehmlich in Berlin. Das erste Album des 33-Jährigen unter eigenen Namen entstand hier und in einem Studio in einem kleinen schwedischen Städtchen. Vielleicht liegt es daran, dass „Going To Where The Tea Trees Are“ so ganz anders klingt als Tarwater. Auch wenn der Produktionsansatz, klassisches Instrumentarium mit elektronischen Errungenschaften zu kombinieren, die Geschwindigkeiten und grundsätzlichen Stimmungen sehr ähnlich sind: Die Melancholie dieser Electronica ist doch eine komplett andere. Viel organischer, erdiger klingen diese zwölf Songs, viel ruraler. Als hätte ein Hippiemusikant ein Vierteljahrhundert verschlafen und wäre in einem modernen Tonstudio wieder erwacht. In „Scorpion Grass“ wird sogar entspannt gepfiffen. Wenn Tarwater den Soundtrack liefern zu einer Nacht in der Großstadt, dann beschallt von Poehl einen Nachmittag auf dem Lande. THOMAS WINKLER

Tarwater: „Spider Smile“ (Morr Music/Indigo) Peter von Poehl: „Going To Where The Tea Trees Are“ (Herzog/Edel)