Vattenfall vs. Ökos: 1:1

Erstmals stellen sich Vattenfall-Manager der Diskussion über das geplante Steinkohle-Kraftwerk. Für das Fernwärmenetz sei eine Großanlage nötig, argumentieren sie. Umwelthilfe sagt starke Abwanderung von Kunden voraus, falls Kraftwerk kommt

VON ULRICH SCHULTE

Erkenntnis eins: Beim Kraftwerksneubau, den Vattenfall in Lichtenberg plant, ist die Frage des Brennstoffes noch offen. Erkenntnis zwei: Vattenfall-Bosse haben Humor, denn, Erkenntnis drei, wenn sie vorgeben, doch nur das Beste fürs Klima zu wollen, klingt das durchaus glaubwürdig. So weit der Neuigkeitswert einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend im Abgeordnetenhaus, die von Energieexperten mit Spannung erwartet worden war – schließlich ging es um die lang ersehnte Konfrontation seit Bekanntwerden der Konzernpläne, quasi die Begegnung Vattenfall vs. Stadt.

Nun denn, Ring frei: In der rechten Ecke traten an Hans-Jürgen Cramer, Vorstandschef Vattenfall Europe Berlin, und sein Vorstandskollege Klaus Pitschke. In der linken Ecke tänzelten Gerd Rosenkranz, Chef der Deutschen Umwelthilfe, andere Energiefachleute und diverse Grünen-Mitglieder, deren Partei die Veranstaltung unter dem Titel „Berlins zukünftige Energieversorgung“ organisiert hatte.

Für ebenjene sei es nötig, über die Stadtgrenzen hinauszudenken, so Cramer. „Wir müssen in Deutschland weiter Kohle verstromen, um ein energetisches Rückgrat zu behalten“, stellte er die bekannte Vattenfall-Position klar. Er warb für die ursprüngliche Planung eines großen Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerks mit 800 Megawatt elektrischer Leistung und 650 Megawatt Wärmeleistung. Es soll vor allem das Fernwärmenetz im Ostteil mit heißem Wasser beliefern. Mehrere tausend dezentrale Heizungsanlagen liefen längst nicht so effizient wie eine große, argumentierte Cramer. Und warnte davor, die Struktur des „wichtigsten Assets der Hauptstadt, des Fernwärme-Netzes“, zu zerstören. Vattenfall prüfe auch eine Erdgas-Variante, fügte sein Kollege Pitschke an. Allerdings sei der Einkaufspreis für Gas zu hoch. Pitschkes Rechnung, bei der er den Wärmeertrag dezent außen vor ließ: Eine Megawattstunde Gas koste auf dem Weltmarkt 60 Euro, eine Megawattstunde Strom 55 Euro. „Das ist für kein Unternehmen darstellbar.“

Gerd Rosenkranz von der Umwelthilfe ließ die Beteuerung, das Kraftwerk werde durch modernste Technik effizienter und klimafreundlicher Energie produzieren als das alte, nicht gelten. „Traurig, wenn das nicht so wäre. Ich hege den Verdacht, dass die Konzerne sowieso eher den Brennstoffverbrauch im Blick haben, nicht den CO2-Ausstoß – sprich: Das Kraftwerk wäre auch ohne Klimadebatte genauso gebaut worden.“ Er warf einen bekannten Vorschlag in die Runde: Der Staat dürfe neuen Kohlekraftwerken nur eine befristete Betriebserlaubnis bis 2020 geben. Funktioniert die CO2-Abscheidung und -Speicherung („Carbon Capture and Storage“, kurz: CCS) bis dahin nicht, müssten sie vom Netz.

Genüsslich las Rosenkranz den Managern einen Satz ihres obersten Bosses, Vattenfall-Chef Lars Göran Josefsson, vor. Er hatte sich in einem taz-Interview zu der Aussage hinreißen lassen, sein Konzern werde ab 2015, spätestens 2020 „keine neuen Anlagen mehr ohne CCS bauen und die alten Kraftwerke nachrüsten“. Dem sonor vortragenden Pitschke rutschte an dieser Stelle die Tonlage etwas nach oben, musste er doch seinen Vorgesetzten relativieren. „Die Voraussetzung für die Nachrüstung ist ja, dass die Technik funktioniert.“

Ruhig wurde es bei der letzten Wortmeldung von Rosenkranz. Es nutze Vattenfall nichts, kleine Ökoprojekte zu bewerben: „Wenn Sie sich weiter so große Fehler wie die Ankündigung des Kohlekraftwerks leisten, machen Sie sich alles kaputt“, sagte er. „Bleiben Sie bei Ihrer Planung, wird Berlin seine erste Stromwechsel-Kampagne erleben, die wirklich Erfolg hat.“