waltraud schwab über den klimawandel im kleinen
: Mongolei im Schrebergarten

Diese Kolumne handelt von einem Schrebergarten in den Rehbergen, der in der Einflugschneise von Tegel liegt. Dezibelwerte und Schadstoffbelastung machen ihn zum ausgewiesenen Versuchsort für „erhöhte Temperatur“ in Berlin. Meine Freundin ist die Pächterin der Parzelle. Sie kennt sich mit Tieren aus. Ich nicht so. Aber zum Kompostumschichten braucht man kein Tierwissen. Man begegnet höchstens mal Tausendfüßlern, Regenwürmern und Asseln. Dachte ich.

Dabei hatten Gartenfreunde aus den umliegenden Grundstücken schon allerhand um unseren Abfallhaufen schwirren sehen. „Bei ihnen sind Ratten“, rief eine Nachbarin entsetzt. „Sie werfen Gekochtes auf den Mist!“ Um Gottes Willen, niemals!

Es müssen Wühlmäuse sein, meinte der Vater meiner Freundin. Vorsorglich klopfte ich ordentlich auf das Gatter des Komposts, um sie zu vertreiben, bevor ich den Humus von einer Seite auf die andere hievte.

Ich war fast unten auf dem Boden, als es geschah: Mausähnliches Getier flüchtete. Alle hatten einen dunklen Streifen auf dem Rücken. „Bettiiiiina“, rief ich, sie war vorne im Garten und versuchte welke Setzlinge, die unter frühjahrsuntypischer Trockenheit leiden, zu neuem Leben zu erwecken. „Haben Wühlmausbabys einen schwarzen Strich auf dem Rücken?“

Meine Freundin war sofort Feuer und Flamme, kam, hob einen Reisighaufen neben dem Kompost an. Dahin hatte sich eines der Wesen verkrochen. Der schwarze Strich irritierte sie. Außerdem die Schwanzlosigkeit. „Mäuse wären früher abgehauen“, meinte sie wissend. Dazu noch das flache Gesicht – sie fand es hamsterhaft. „Aber Feldhamster, die hätten sich gewehrt, wären nicht geflüchtet, wenn man ihre Jungen angreift.“ Ein Rätsel also. In unserem Garten.

Die Internetrecherche unter den Stichworten „Maus“ + „schwarz“ + „Strich“ führte zu 100 Prozent auf Sexseiten. So kommt man nicht weiter. Fündig wurden wir am Ende bei „chinesischen Hamstern“. Aber die hatten einen Schwanz. Dann der entscheidende Hinweis: Tsungarische Hamster, wie chinesische mit Strich auf dem Rücken, sind schwanzlos.

Wo um alles in der Welt liegt Tsungarien? In Nordchina, wie sich herausstellte. In der dortigen mongolischen Steppe mit kalten Wintern und trockenen, heißen Sommern. Letzteres neuerdings hierzulande kein Problem. Kommt dazu, dass der Kompost wie ein Schlaraffenland für die Tierchen ist: Körner, Obstabfälle, Würmer. Alles da.

Zugegeben: Die Hamster sind vermutlich nicht von der Mongolei hierher gewandert, sondern bequem per Flugzeug gereist, mit Stoppover im Kinderzimmer. Seit jedenfalls klar ist, dass wir keine Ratten, sondern exotische Haustiere im Kompost haben, gibt es plötzlich Interessenten. „Denk an die Waschbären“, sagte eine, „da war es zuerst auch nur einer.“ Wir sollen eine Brücke bauen mit Ködern drauf, an deren Ende ein Eimer steht. In den fallen die Hamster, weil sie so neugierig sind. Als schlechte Kletterer aber kämen sie nicht mehr raus.

Wir sind dagegen. Wir behalten unsere Gäste im Garten. Und was die Überpopulation angeht, ist uns nicht bange. Die Kleinen haben genug Fressfeinde: Zobel, Steppenkatze, Luchs und Vielfraß. Letzterer sieht von vorne gedrungen aus wie ein Gorilla und von der Seite wie ein Ameisenbär. Wir sind sicher, dass wir nicht mehr lange auf ihn warten müssen.

Das Wochenendwetter: Sonne, kein Regen, Temperaturen bis 28 Grad Der Tipp: perfekt für ein Spargelessen unter freiem Himmel in Beelitz Wo laufen Sie heiß? erhoehtetemperatur@taz.de