Im Bett mit Tom

Eine Ausstellung in Berlin zeigt komische Bilder von Wahrheit-Zeichner Tom

Toms Mutter war eine Kamera, sein Vater ein Bildschirm

Heute Abend wird in der Berliner „Cartoonfabrik“ eine Ausstellung eröffnet, die den schönen Titel trägt: „Tom – Unter Nasen“. Und wer bei diesem Titel an Karl May denkt, der sich angeblich „Unter Geiern“ befand, der liegt nicht ganz falsch. Denn der Wahrheit-Zeichner Tom hat, selbst wenn man es auf den ersten Blick nicht gleich erkennen kann, eine große Nähe zum Wilden Westen. Was Tom mit Cowboys und Indianern verbindet, soll die folgende kleine Geschichte erläutern:

Es ist drei Uhr nachts. Über dem Land liegt die sanfte Stille des Schlafes. Doch nicht über dem ganzen Land. Irgendwo räkeln sich zwei Pyjama-Helden im Doppelbett und kichern und prusten. Auf einem briefmarkengroßen Fernseher schauen sie sich einen billigen, alten Western an, in dem Männer noch Männer und Sätze noch Sätze sind: „Macht die Herde fertig, in 15 Minuten reiten wir weiter!“, raunzt im Film ein frisch rasierter Vormann seine verschlafenen Kuhtreiber an. Und schon gackert Tom so heftig los, dass sämtliche Erdnussflips zwischen die Kissen pladdern: „Wie macht man eigentlich eine Herde fertig?“ Zähne putzen? Hörner feilen? Hufe polieren?

Zweimal im Jahr, zur Buchmessenzeit, darf ich in Frankfurt und Leipzig ein Doppelbett mit Tom teilen. Arbeiten wir doch für eine arme, kleine Berliner Tageszeitung, die ihrem Wahrheit-Zeichner und -Redakteur keine komfortablen Hotelzimmer, sondern oft genug nur karge Privatunterkünfte finanzieren kann. Wir sind es gewohnt, dass eine verwirrte Oma im Nachthemd vor dem Bett steht und nach ihrer Sammlung blauer bulgarischer Gläser fragt. In manchen Jahren müssen wir sogar im Planwagen anreisen. Und einmal überfielen uns zwischen Kassel und Frankfurt am Main versprengte Indianer – falls es nicht ein Traum oder der Spätfilm war. Allerdings besitze ich zum Beweis immer noch einen Pfeil mit verbrannten Federn.

Kürzlich haben wir festgestellt, dass wir bereits 15-mal hintereinander zusammen nach Frankfurt und Leipzig gefahren sind – und von Müdigkeit ist nichts zu spüren. Im Gegenteil. Ich jedenfalls möchte meine Fernsehnächte im Bett mit Tom nicht missen. Habe ich doch zu später Stunde eine Menge über Toms Komik gelernt. Tom gehört der ersten Generation an, die vom Fernsehen erzogen wurde. Seine Mutter war eine Kamera, sein Vater ein Bildschirm. Dazwischen lagerten sich in seinem Gedächtnis Fernsehserien ein: „Die 2“ und „Rauchende Colts“, „Männer ohne Nerven“ und die „Invasion von der Wega“, an die sich wohl kaum jemand so lebhaft erinnern kann wie Tom. Und aus denen er offenbar gelernt hat, mit Geschichten und ihrem Personal umzugehen.

Auch die Helden des täglichen Touché müssen Kleinkatastrophen überstehen und haben wie die Protagonisten abseitiger TV-Serien absurde Probleme. Tom allerdings verlegt das Absurde zurück in den Alltag. Er hat einen sehr eigenen Blick für alltägliche Komik auf der Straße oder im Supermarkt, und wenn er diese Komik in seine Witzstreifen überträgt, ist er sozusagen Kameramann, Regisseur und Cutter in einem. Und nicht zu vergessen: der Hauptdarsteller. Denn in allen Figuren steckt auch Tom selbst. Man muss ihn nur beobachten, wenn er zeichnet: Er sagt genau das, was seine Figur sagt, nimmt ihre Haltung an, grimassiert ihren Gesichtsausdruck vorweg und legt, angestrengt von so viel gleichzeitigem Tun, die Stirn in zirka 15 Falten. Wie bei Baumringen kommt jedes Jahr eine neue Rille hinzu.

Dass Tom seine Jugend vor dem Fernseher verbrachte, hat einen guten Grund, denn die meiste Zeit musste er sich verstecken. Tom war ein Outlaw, wie er mir eines Nachts beichtete: „Ich war ein wilder Bursche. Die Nacht gehörte mir. Ständig den Sheriff im Nacken.“ Denn Toms Bock, wie er sein damaliges Fortbewegungsmittel nannte, war offenbar ein Dorn im Auge des Gesetzes: „Ich war zu schnell, zu illegal und zu laut. Ich habe vielen anständigen Leuten damals den Schlaf geraubt.“ Glücklicherweise gab Tom seine Karriere als Schlafräuber auf und wurde nach einigen Umwegen und Zwischenstationen ein hoch geachteter Zwerchfellstreichler.

Seit mehr als 15 Jahren nun zeichnet Tom den Touché für die Wahrheit-Seite der taz, bis auf den Sonntag produziert er stets täglich. Das sind bis heute mehr als 4.500 Touchés in Folge. Eine enorme Leistung. Um das durchzuhalten, muss man schon eine starke Persönlichkeit haben, einen inneren Vormann, der den morgens manchmal müden Witzbildchenzeichner antreibt: „Mach den Touché fertig, in 15 Minuten ist Redaktionsschluss!“

Und passend zum Stichwort, deshalb noch eins zum Schluss: Vor Jahren habe ich mir von Tom eine neue Figur gewünscht. In Toms Welt würde etwas fehlen, sagte ich ihm. Neben der Einemarkedame, dem Teufel, dem Schüler, der Baumumarmerin, dem Sandkastenjungen und den vielen anderen Figuren bräuchte es dringend einen tapferen Cowboy, der bei seinem täglichen Kampf gegen das Böse dennoch für alle Menschen stets ein herzensgutes „Howdy“ auf den Lippen habe. Wie er selbst.

Selbstlos hat sich Tom meinen Wunsch zu Herzen genommen und eine neue Figur entwickelt. Seit einiger Zeit gehört „Ralf, der Nichtraucher“ zum Ensemble. Ralf ist zwar kein echter Cowboy, aber wenn er mit seinem Laster fertig zu werden versucht und in ihm Gut und Böse miteinander kämpfen, dann hat Tom wieder im Kleinen Großes geschaffen.

Ganz groß aber könnte eine Idee werden. Tom wird wohl demnächst einen Schoko-Western zeichnen. Doch dieser Plan ist noch so geheim, dass er an dieser Stelle gar nicht verraten werden darf. Wir sind sehr gespannt. Howdy! MICHAEL RINGEL

„Tom – Unter Nasen“. Ausstellung in der „Cartoonfabrik“, Krossener Str. 23, 10245 Berlin-Friedrichshain, am Boxhagener Platz. 28. April–24. Juni, Mi.–So., 14–19 Uhr. Ausstellungseröffnung am heutigen Freitag, dem 27. April, um 20 Uhr. Der Künstler ist anwesend.