Der in der Pflicht steht

Das Dementi klingt deutlich: Gerhard Cromme werde „definitiv nicht Siemens-Chef“, hieß es gestern im Umfeld des Ex-ThyssenKrupp-Chefs. Der frisch gewählte Aufsichtsratschef des Münchner Skandalkonzerns solle sich ganz auf die Aufarbeitung der jüngsten Firmengeschichte konzentrieren und klären. Die vermutliche Ente von der vollständigen Machtübernahme Crommes war über die Onlineausgabe des Handelsblatts verbreitet worden. In der Pflicht steht Cromme trotzdem, schließlich muss er als Siemens-Oberkontrolleur einen Ersatz für den scheidenden Vorstandschef Klaus Kleinfeld suchen. Kein Job zum Verlieben – eher zum Verlieren.

Der „Manager des Jahres 1992“ gilt als Saubermann. Cromme ist Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate-Governance-Kodex. Der Kodex entwickelt Verhaltensmaßregeln für Firmen, mit der die Unternehmensführung und -kontrolle in börsennotierten Gesellschaften verbessert werden soll. Auf Sonderwünsche will Cromme dabei keine Rücksicht nehmen.

Ein ThyssenKrupp-Sprecher bezeichnet den promovierten Juristen trotzdem als „eher scheu“, Interviews gibt er selten. Viel Zeit hat er ohnehin nicht: Bislang hat Cromme eine Fülle von Aufsichtsratsmandaten. Und auch im Siemens-Aufsichtsrat leitet er bereits den Ausschuss, der die Schmiergeldaffäre aufklären soll.

Den Arbeitern von Krupp galt er über viele Jahre als eine der „hässlichsten Fratzen des Kapitals“. Dort hatte er sich seinen Ruf als kompromissloser Sanierer und „kreativer Zerstörer“ vor allem in den 80er- und 90er-Jahren erarbeitet. Als er 1988 nach monatelangem Arbeitskampf die Schließung des Krupp-Werkes in Rheinhausen verkündete, dankte es ihm die Belegschaft mit faulen Eiern. 1993 machte das Werk trotzdem dicht.

Die Erfolgsgeschichte des Krupp-Konzerns war zu diesem Zeitpunkt bereits in der Schreibe. 1991 gelang Cromme mit dem Kauf des Konkurrenten Hoesch die erste „feindliche Übernahme“ an der Ruhr. 1997 wollte er den Coup beim größeren Rivalen Thyssen wiederholen. Er scheiterte im ersten Anlauf am Widerstand des Thyssen-Managements und der Belegschaften. Im März 1999 verschmolzen Thyssen und Krupp aber freundschaftlich zur ThyssenKrupp AG – dem größten Stahlkonzern Deutschlands.

Selbst für seinen Ruhestand hat sich der 64-jährige Jurist so gut wie verpflichtet. Es gilt als wahrscheinlich, dass er an die Spitze der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung wechselt, dessen jetziger Präsident es zu einem der mächtigsten und einflussreichsten Bürger des Ruhrgebiets gebracht hat. HOLGER PAULER