Wovon Frauen träumen

GESPRÄCHSKUNST Was wollen die Menschen vom Leben? Arbeiten von Gitte Villesen sind im Kreuzberger Archive Kabinett ausgestellt

Sie stellt permanent die Frage nach persönlichen Freiheiten sowie nach Träumen und Verwirklichungen

VON NINA SCHOLZ

Alle Arbeiten der dänischen Künstlerin Gitte Villesen haben eine persönliche Geschichte, so auch die derzeit in den Kreuzberger Projekträumen Archive Kabinett ausgestellte Videoarbeit „Katherine Makes Them and Bent Collects Them“.

Als Gitte Villesen 15 Jahre alt war, schloss sie mit dem Onkel ihres Cousins, Bent, eine Wette ab. Die beiden hatten Geschlechterfragen diskutiert, und Gitte Villesen vertrat dabei die Überzeugung, dass sie auch mit Mitte zwanzig noch immer keine Hausfrau mit Kindern sein würde, die ihre feministische Überzeugung über Bord geworfen hat. Bent wettete zwei Flaschen Wein dagegen. Mit 28 Jahren meldete sich Villesen, immer noch kinderlos und unverheiratet, bei Bent. Sie bekam den Wein.

Kurz darauf begannen die beiden, gemeinsam zu arbeiten. Villesen filmte Gespräche mit der damals 79-jährigen Katherine, die feine Spitze herstellt, seit sie acht Jahre alt ist; Bent ist einer der Sammler dieser hochwertigen Produkte. Die aufgezeichneten Gespräche informieren aber nicht über den Prozess der Herstellung, sie dokumentieren Katherines Träume, Hoffnungen, ihre Freuden und Freiheiten, aber auch die Beschränkungen ihres Lebens.

Gitte Villesen lebt sowohl in Kopenhagen als auch in Berlin, und sie arbeitet seit 1994 auf diese Weise. Sobald sie sich für eine Person und ihre Geschichte interessiert, beginnen Gespräche, aus denen sich dann Form und Inhalt der später entstehenden Arbeit ergeben. Ihre Gesprächspartner trifft sie mehr oder weniger zufällig, und die bearbeiteten Themen reichen von Gesprächen mit einer Archivarin der Auschwitz-Prozesse über Voodoo-Familien aus Gambia bis hin zu den Betreibern eines Kleinstadtmuseums.

Am vergangenen Wochenende hat die 1965 geborene Künstlerin im Kreuzberger Graefekiez nun ihre erste, umfassende Kunstmonografie, die im JRP Ringier Kunstverlag erscheint, vorgestellt. Unter dem Titel „The Story is not all mine, nor told by me alone“ präsentiert sie viele ihrer Arbeiten von ihren Anfängen bis zum Jahre 2009.

Der Titel des Buchs ist passend gewählt. Einerseits ist er ein Zitat aus dem feministischen Science-Fiction-Roman „The Left Hand of Darkness“ von Ursula Le Guin, der von einer alternativen Welt erzählt, in der Menschen ihr Geschlecht frei wählen können. Auch Villesens Werk stellt permanent die Frage nach den persönlichen Freiheiten, besonders denen von Frauen sowie nach Träumen und Verwirklichungen.

Andererseits ist Villensens Kunst persönlich und multidimensional zugleich. Sie markiert sich selbst als Ausgangspunkt ihres Schaffens und arbeitet gleichzeitig den Raum deutlich heraus, der zwischen den Vorstellungen des Künstlers, dem Objekt, auf das er sich bezieht, der tatsächlichen Verwirklichung und den Rezeptionen entsteht. Ihre Objekte, Filme, Bilder, Aufnahmen und Collagen zeichnen sich dabei insgesamt durch eine Leichtigkeit aus, die den Zugang zu den verhandelten Themen vereinfachen. Auf den ersten Blick verschleiern sie geradezu, wie komplex Gitte Villesen ihre Themen bearbeitet. Die Fragen, die sie stellt, sind scheinbar simpel: Welche Entscheidungen treffen Menschen und wieso? Was wollen sie vom Leben, was sind ihre Träume? Wurden diese Träume verwirklicht, und falls nicht, wieso nicht?

Villesens Geschichten sind nicht auserzählt, doch gerade aufgrund des fragmentarischen Charakters entstehen die Zwischenräume für Fragen des Betrachters. Gitte Villesen gibt ihre Kunst bereitwillig an andere weiter. Aus den Ergebnissen ihrer Dialoge sollen weitere entstehen.

Das war auch für jenen schwülen Freitagabend im Archive Kabinett geplant. Die begleitende Ausstellung wurde bewusst auf sehr wenige Objekte begrenzt, die Buchpräsentation und das Gespräch mit Gitte Villesen sollten im Fokus stehen. Um die 60 Besucher saßen in einem atriumartig gebauten Wohnraum gestapelt bis unter die Decke. Doch die Unterhaltung zwischen Villesen und ihren beiden Gesprächspartnerinnen wollte nicht in die Gänge kommen. Nachdem die Künstlerin Ines Schaber eine Werkinterpretation gegeben hatte und Hanne Loreck, die eine Gender-Professur an der Hamburger Hochschule für bildende Künste innehat, ihren eigenen Beitrag aus Villesens Buch vorgelesen hatte, versiegte das Gespräch recht schnell.

Vielleicht hatte die Hitze im Raum die Diskutantinnen träge gemacht. Vielleicht war auch der von den dreien geplante Ansatz, das Gespräch, ähnlich Villesens Werk, offen und gleichzeitig persönlich zu halten und die komplexe, abstrakte Ebene mit der subjektiven zu vermischen, zu ambitioniert gewesen. Der kleinen, aber dennoch gelungenen Ausstellung, die noch bis zum 10. Juni besucht werden kann, tut das allerdings keinen Abbruch.

■ Bis 10. Juni Archive Kabinett, Dieffenbachstraße 31, 10967 Berlin-Kreuzberg www.archivekabinett.org

■ Buch: Gitte Villesen: „The Story is not all mine, nor told by me alone“. JRP Ringier Verlag, Zürich 2011