„Sie haben besondere Fähigkeiten“

„Frauen in Arbeit und Wirtschaft e.V.“ berät Migrantinnen, die sich selbständig machen wollen – oder müssen

Susanne Bukta, 32, aus Ungarn stammende Religionswissenschaftlerin, berät seit 2003 Migrantinnen zur Existenzgründung.

taz: Frau Bukta, welche Migrantinnen kommen zu Ihnen?

Susanne Bukta: Das sind vor allem Frauen, die sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbständig machen. Letztes Jahr habe ich um die 100 Klientinnen beraten, davon waren 80 arbeitslos. Das liegt daran, dass wir vom Arbeitsamt, der Bagis, mitfinanziert werden und die uns die Frauen schicken. Die Behörde übt oft Druck aus und bietet die Selbständigkeit als einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit an.

Also machen sie das gar nicht freiwillig?

Doch, sie wünschen sich Selbständigkeit und finanzielle Unabhängigkeit. Nicht nur vom Staat, auch von den Ehemännern. Und sie wollen etwas für sich selbst tun, sich selbst verwirklichen.

Haben Migrantinnen bei der Existenzgründung andere Probleme als Deutsche?

Wie alle, die arbeitslos sind, haben sie kein Eigenkapital. Wegen fehlender Sicherheiten bekommen sie keinen Bankkredit, sondern nur über die Bagis maximal 5.000 Euro zinsloses Darlehen. Migrantinnen kennen sich zudem häufig schlechter mit deutschen Gesetzen aus und haben Schwierigkeiten, deren Fachsprache zu verstehen.

Welche Unterschiede gibt es unter Ihren Klientinnen?

Die erste Generation Migrantinnen, also Frauen, die nicht in Deutschland geboren wurden, haben häufig mit Sprachproblemen zu kämpfen. Es gibt große Hemmungen an Behörden heranzutreten.

Wie können Sie helfen?

Indem wir den Frauen zeigen, worin die Stärken ihrer Migrationserfahrung liegen können. Wir sagen ihnen: „Seien sie sich bewusst, sie haben besondere Fähigkeiten. Sie sind bikulturell, sie sind multilingual.“

Gibt es typische Geschäftsideen?

Ja, Änderungsschneiderei oder Friseurladen, Boutiquen mit Secondhand- oder First-Class-Kleidung. Häufig gibt es einen Bezug zum Geburtsland. Wir hatten eine Peruanerin, die Mode aus Peru anbietet. Oder eine Ghanaerin, die Afro-Frisuren anbietet. Eine Türkin hat einen Friseurladen eröffnet und bietet dort einen „Frauentag“ an. Der kam gut an, weil Muslimas dort ihr Kopftuch ablegen können und wissen, dass sie ungestört sind.

Und machen etwa türkische Frauen besonders häufig einen Friseursalon auf?

Das sind Klischees. Man muss immer schauen, aus welcher Schicht eine Frau kommt und welche Qualifikation sie hat. Gerade bei den türkischen Frauen kann man das nicht so sagen. Das umfasst alles mögliche. Eine Türkin vermittelt jetzt zum Beispiel Schönheitsoperationen zwischen Deutschland und der Türkei. Was die Russinnen und Polinnen angeht und teilweise auch die Iranerinnen, die haben oft hoch qualifizierte Abschlüsse – auch Ingenieursabschlüsse. Das Problem ist, dass die in Deutschland selten anerkannt werden.

Wann raten sie davon ab, sich selbständig zu machen?

Wir schauen schon, ob die Frauen sich eignen. Also sie sollte unternehmerische Fähigkeiten mitbringen oder zumindest die Bereitschaft haben diese zu erlernen. Wenn jemand überhaupt keine Berufserfahrung hat oder gar keinen Abschluss, ist es schwer. Wir schauen uns zudem die Gesamtsituation an. Wo lebt sie? Wie lebt sie? Wie ist die Betreuung von Kindern geregelt? Wenn es da unlösbare Probleme gibt, dann raten wir auch eher ab, weil Selbständigsein bedeutet zunächst eine 60- bis 80-Stunden-Woche. Dazu kommt, dass etwa die Hälfte der Migrantinnen, die hierher kommen, alleinerziehend sind.

Es klingt fast so, als könnten sie kaum einer zuraten.

Nein. Etwa die Hälfte der Frauen, die bei uns waren, haben auch etwas gegründet. Es ist nur so, dass sie sich gut darauf vorbereiten müssen. Es kann schon passieren, dass ich sage, macht erst mal ein Praktikum, sammelt Erfahrungen, bildet euch fort.

Und wissen sie, wie erfolgreich die Neugründungen sind?

Wir haben dieses Jahr eine telefonische Nachbefragung gestartet. Und zwar mit Existenzgründungen aus dem Jahr 2005, die von der Bagis und der Agentur für Arbeit unterstützt wurden. Etwa 75 Prozent der Frauen sind noch auf dem Markt. Allerdings bekommen die meisten noch Unterstützungsleistungen wie Einstiegsgeld von der Bagis. Die wenigsten dieser Frauen können sich jetzt schon selbst über Wasser halten. Sich auf dem Markt zu etablieren, braucht eine sehr lange Anlaufphase.

Interview: Patrick Ehnis