Gipfeltreffen am Sechs-Meter-Kreis

Schleswig-Holstein hat keinen Fußballverein in der ersten Liga. Dafür zwei Handballmannschaften, die schon seit Jahren auf Weltklasse-Niveau spielen – und an diesem Sonntag um die Krone des europäischen Handballs kämpfen

Um die Halle zu füllen, braucht es weder in Kiel noch in Flensburg Werbeplakate wie in Hamburg. Da müssen keine Karten bei Abschlussfeiern von Eishockeymannschaften unters Volk gebracht werden, um die Ränge zu füllen, die Fernsehkameras bei der Übertragung von Stimmungsbildern nicht den Oberrang aussparen, weil der – wie zuletzt gegen Ademar Leon am vergangenen Sonntag – nur spärlich gefüllt ist. Nein, Handball hat in Schleswig-Holstein Tradition, Spitzenhandball zudem. Dauerkarten, besonders für die Ostseehalle, werden gerne auch vererbt.

Während der Bundesligaspiele klingt die Fanekstase in der Kieler Halle meist wie ein Seniorenclub beim Tanztee. Dafür ist sie immer ausverkauft. Die Mehrzahl der Zuschauer trägt das Haupthaar grau meliert und auftoupiert. Es wird rhythmisch geklatscht, manchmal gar gesungen, in den letzten zwei Minuten gestanden. Bei Champions-League-Spielen ist dann alles anders – lauter, schriller, besser. Am morgigen Sonntag wird die Halle toben. Unter die Fangesänge der Kieler Gastgeber werden sich die lauten Anfeuerungsrufe der Flensburger mischen. Dann nämlich wird der THW Kiel ab 17.30 Uhr mit der SG Flensburg-Handewitt um die Krone des europäischen Handballs kämpfen, um den Sieg in der Champions League. Nach dem 28:28 im Hinspiel wird die Partie ein echtes Endspiel. Es ist kaum zu erwarten, dass die 10.000 Zuschauer mehr als 30 Minuten des Spiels im Sitzen erleben werden.

Es geht um alles, um einen Pott, den der Kieler Spieler Christian Zeitz als „hässliches Pokaldings“ bezeichnet hat. Meisterschaft, DHB-Pokal, Europapokal – alles nichts gegen die Champions League. Das wissen alle. Und so werden sie auch spielen. Es ist das erste deutsch-deutsche Duell seit Bestehen der Pokalserie. Und es kämpfen die beiden Mannschaften, die seit Jahren die deutsche Liga beherrschen, die angeblich stärkste der Welt: Der THW Kiel, zwölfmal Deutscher Meister, im Moment als Tabellenführer heißester Kandidat auf die Meisterschale, vierfacher deutscher Pokalsieger, dreimal EHF-Pokalsieger, dreimal Supercup-Sieger; und die SG Flensburg-Handewitt, Deutscher Meister 2004, seit 1996 siebenmal Deutscher Vizemeister, drei Jahre in Folge DHB-Pokalsieger (2003–2005), Europapokalsieger 2001, Supercupgewinner, EHF-Cup-Sieger.

Meisterschaft, Europapokal, Champions League: Titel, die sie sich auch beim HSV Handball herbeisehnen. Im vergangenen Jahr hat man zwar den DHB-Pokal gewonnen, aber das ist bis auf den Supercupsieg 2006 der einzige Erfolg in der noch jungen Vereinsgeschichte. Seit 2002 gibt es den HSV Handball in Hamburg. Nach den Finanznöten vor eineinhalb Jahren haben die Hamburger in Vereinspräsident Andreas Rudolph einen Mäzen aus der Pflegebranche gefunden, der gerne auch siebenstellige Summen in Mannschaftsfindung und Vereinssicherung investiert – in der vergangenen Saison sollen es mehr als vier Millionen gewesen sein.

In der Liga spielen die Hamburger schon ganz oben, sind derzeit Zweiter und einzig verbliebener, echter Verfolger des THW Kiel. Nach einem Vier-Tore-Sieg (28:24) im Hinspiel muss die Mannschaft von Trainer Martin Schwalb beim derzeit viertplatzierten der spanischen Liga, Ademar Leon, bestehen. Ein internationaler Titel könnte ab Sonntag die Fußzeile der Vereinsschreiben schmücken – und die Handballbegeisterung an der Elbe endlich in die gewünschte Höhe treiben. Vielleicht. Mit dem bisherigen Zuschauerschnitt von 7.700 zeigen sich die Verantwortlichen zwar zufrieden, aber volle Hallen wie Flensburg oder Kiel hätten sie doch auch gern. Und deren Titelsammlung. Inklusive Champions League.CHRISTINA STEFANESCU