Urlaub nach Herzenslust

Wellness, medizinisch. Bad Bevensen in der Lüneburger Heide bietet Herzurlaub für Selbstzahler. Der Wannenbereich des Kurzentrums wird beim Facelifting des Ortes zum Spa-Vital-Center umgebaut

Preise: Das sechstägige Leistungspaket „Herzurlaub“ kostet ohne Unterkunft 950 Euro. Mit sechs Übernachtungen/Frühstück im Einzelzimmer kostet es in einem Drei-Sterne-Hotel ab 1.189 Euro und im Vier-Sterne-Hotel ab 1.249 Euro. Kurtaxe: 2,30 Euro pro Person und Tag Termine 2007: 3. 6.–9. 6., 17. 6. –23. 6., 22. 7.– 28. 7., 19. 8.–25. 8., 30. 9.–6. 10, 21. 10.–27. 10, 4. 11.–1. 12., 2. 12.–8. 12. Termine „Frau aktiv“: 13. 5.–19. 5., 23. 9.–29. 9. Information: Kurverwaltung Bad Bevensen, Tel.: (0 58 21) 5 70 oder (0 58 21) 57 21, www.bad-bevensen-tourismus.de Auskunft: Herz- und Gefäßzentrum Bad Bevensen, Tel.: (0 58 21)82-0, www.hgz.bb.de

VON GÜNTER ERMLICH

Herzlosigkeit ist der schlimmste Herzfehler.

(Deutsches Sprichwort)

„Gutes Tropfen“ wünscht mir die medizinische Assistentin beim Blut abnehmen. Dann geht’s ein paar Türen weiter zum Belastungs-EKG. „Bärbel, legst du die Langzeit an?“ Ich werde von Bärbel verkabelt und muss auf dem Ergometer meine Fitness beweisen, trampeln, bis der Schweiß erst perlt, dann strömt. Schon mein Ruhepuls war recht hoch. Lag es an Bärbel oder an der Weißkittelhypertonie, also Stress bei Ärzten? Kaum habe ich in der Teestube etwas verschnauft, werde ich schon zur „Echo“ abgeholt. Die junge Frau im weißen Kittel fährt mit dem Ultraschallkopf über meinen gegelten Brustkorb. Auf dem Bildschirm schaut sie mir dreidimensional durchs Herz, inspiziert Herzkammern, -wände und klappen und guckt auf meinen roten und blauen Blutfluss und seine Geschwindigkeit. Sie nickt zufrieden.

Montagmorgen. Die Stunde der Wahrheit. Mein Herz wird schonungslos auf die Probe gestellt: Wie hoch ist der Blutdruck, das Cholesterin, die Wattleistung? Der „Kardio-Check-up“ ist Auftakt zum sechstägigen „Herzurlaub“ im Herz- und Gefäßzentrum (HGZ) Bad Bevensen in der Lüneburger Heide. Wir sind acht Männer, zwischen 50 und 80 Jahren, und haben keine akuten Herzbeschwerden. Wir sind rein prophylaktisch hier, auf eigene Kosten, nicht auf Kassenkur. Besser frühzeitig als zu spät. Schließlich stirbt jeder Zweite hierzulande an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung.

„Um bis zu 80 Prozent lässt sich das Herzinfarktrisiko verringern“, erklärt uns Chefarzt Dr. Rüdiger Wolf (64) im Arztseminar. Klingt verlockend und sehr gesund. Der kleine, rundliche Heidedoktor mit Berliner Zungenschlag schreibt „Arteriosklerose“ an die Wandtafel, kreist das Gefahrwort ein und gruppiert drum herum die „beeinflussbaren Risikofaktoren“: Nikotin, erhöhtes LDL-Cholesterin, Übergewicht, Bewegungsmangel, erhöhter Blutdruck, erhöhter Blutzucker. Wir gucken uns an und schmunzeln: Jeder denkt wohl an sich und seine Leiche im Keller: Der eine hat früher gequalmt wie ein Schlot, der andere nennt ein veritables Brauereigeschwür sein Eigen, der Nächste ist ein Bewegungsasket, einer frisst zu viel Fettes in sich hinein, ein anderer wird vom Berufsstress aufgefressen. Manche sind breit aufgestellt und haben ein multiples Sündenregister. Schon ab dem 25. bis 30. Lebensjahr gebe es Veränderungen in den Gefäßen, sagt Dr. Wolf und schiebt ein Bonmot von Eugen Roth nach: dass es nicht erst komme zu dem Knackse, erfand der Arzt die Prophylaxe.

Deshalb haben wir jeden Morgen von 8.30 bis 13 Uhr im Herz- und Gefäßzentrum „Stress“. Der Behandlungsplan sieht ein strammes Programm vor: Vorträge und Einzelberatungen, Bewegungstraining, Diät- und Ernährungsberatung, psychologische Gruppensitzungen. Alles zum Wohl unseres Rumpsteak-schweren, männerfaustgroßen Herzens, dieser Superturbine, die 15.000 Liter täglich pumpen und ein Leitungsnetz von fast 100.000 Kilometern versorgen muss. Das neue Ferienangebot „Herzurlaub“, inzwischen als Markenname® geschützt, ist ein herzmedizinisches Untersuchungs- und Trainingsprogramm zur Vorsorge, „eine dauerhafte und medizinisch fundierte Strategie gegen die Gefahr des Herzinfarkts“. Es richtet sich nicht primär an bereits ausgebrannte Manager, sondern an alle „Alpha-Typen“. Denn stressbedingter Herzinfarkt ist keineswegs eine reine Managerkrankheit. Und auch keine reine Männerkrankheit. „Alle plötzlich auftretenden Beschwerden zwischen Nase und Nabel, die nicht innerhalb von 15 Minuten wieder verschwinden, können auf einen drohenden Eva-Infarkt hindeuten“, erklärt Dr. Wolf. Deshalb bietet die Klinik inzwischen eine Woche speziell für Frauen an: „Frauenherzen schlagen anders!“

Lars Wiraeus ist unser Herzschrittmacher. Der alte Schwede, wie wir den drahtigen Frühsechziger ehrfurchtsvoll nennen, lehrt uns, langsam zu laufen. „Das Laufen fängt in den Fingern an, erklärt der Bewegungstherapeut. Er beugt, streckt und spreizt die Finger. „Spürt ihr die Durchblutung in den Händen?“ Nach den Aufwärmübungen joggen wir durch den kliniknahen Wald, nein, wir trippeln fast auf der Stelle. Aber das macht nichts, im Gegenteil, das ist vom alten Schweden so gewollt: „So langsam wie möglich laufen. Den Oberkörper gerade halten, in die Ferne schauen. Und immer an den Gute-Laune-Punkt denken!“ Hauptsache Bewegung, nicht Pillepalle, sondern regelmäßig trainieren.

Medical Wellness heißt der neue Trend im Wohlfühlgeschäft. Privat finanzierte Auszeit für Körper und Seele statt kassengestütztem Kuraufenthalt. Wo die klassische Kur dahinsiecht oder gar im Dauerkoma liegt, da lebt die Gesundheitsvorsorge mit vielen, teils obskuren Zwitterangeboten von Medizin und Lifestyle auf. Unser „Aktivurlaub für Herz und Seele“ in Bad Bevensen ist ein seriöses Präventionsangebot ohne Wellness-Schnickschnack. Für die Klinik in privater Trägerschaft mit 160 Akut- und 190 Reha-Betten – eines der großen herzchirurgischen Zentren in Deutschland – ist der Herzurlaub ein Zubrot. Hier sind wir nicht Patienten, sondern Kunden, Vollzahler für die medizinisch-therapeutischen Leistungen.

Wie bei der Ernährungsberatung mit Frau Ayurveda, Pardon: Frau Anjarwalla. Was die Diätassistentin uns Cholesterikern schon im Vortrag „Ernährung Theorie“ empfohlen hat: 300 g Cholesterin täglich – Faustregel: ein halbes Pfund Brot am Tag und ein halbes Pfund Belag pro Woche – erfahren wir später beim amüsanten Schnupperkochen in der Lehrküche. „Fett macht nicht satt“, sagt Frau Anjarwalla und überwacht uns dabei, wie wir arbeitsteilig ein cholesterinarmes Menü präparieren: Tomaten-Karotten-Paste auf Vollkornbrot, Gemüse-Weizen-Suppe, Hirse-Paprika-Auflauf, Rote Grütze mit Vanillesoße, Apfelkuchen. Dann wird gekostet. Bei der roten Grütze haben wir den Gute-Laune-Punkt erreicht.

Wie viele andere Bäder, die wegen stark rückläufiger Reha-Kuren Badeabteilungen und Kliniken schließen müssen, versucht sich auch der Thermal-Jod-Sole Kurort Bad Bevensen gesundzuschrumpfen und im Markt der privaten Gesundheitsleistungen neu zu positionieren. Die Zahl der Übernachtungen ist von über einer Million im Jahr 1993 auf gut 600.000 im Jahr 2005 abgestürzt, das Durchschnittalter der Gäste beträgt stolze 69 bis 70 Jahre. Birgit Rehse, die agile Leiterin der Kurverwaltung, setzt mit neuen Urlaubsangeboten und Produktlinien auf eine neue, altersunabhängige Zielgruppe: die anspruchsvollen Selbstzahler. Deshalb wird der Wannenbereich des Kurzentrums in ein Spa-Vital-Center umgebaut, neben der konventionellen Packung gibt es bald auch das ausgefallene Heilerde-Rasulbad. „Erlebnishungrige Naturliebhaber aller Altersgruppen“ können den Baumkletterpfad „Tree Trek“ in der Amtsheide machen oder auf der Ilmenau Kanu fahren; der musikalische Sommer lockt ins Kloster Merdingen und Beauty-Angebote in die Hotels.

Nur abends ist und bleibt Bad Bevensen unsexy wie vor dem Facelifting: die Bürgersteige werden zeitig hochgeklappt. Mit Diplompsychologin Tina Schröder arbeiten wir täglich in der „Werkstatt Verhaltensänderung“, um unser Alltagsleben herzfreundlicher zu gestalten. Dabei geht es um Stressauslöser, etwa den berufsbedingten Zeitdruck und wie wir ihm durch besseres Zeitmanagement wirksam begegnen können. Überhaupt: Wie können wir den Stress, Gift für ein angegriffenes Herz, reduzieren? Wie das Rauchen aufgeben? Weniger essen? Uns mehr bewegen? Das machen wir morgen, sagen wir uns, sagt uns Frau Schröder, und schieben so die erstrebten Verhaltensänderungen Tag für Tag vor uns her. Dabei kommen wir schnell auf unseren inneren Schweinehund zu sprechen und lernen ihn besser kennen, in dem jeder unserer Gruppe das „Tätigkeitsprofil meines Schweinehunds“ erstellt. Frau Schröder macht uns mit Gegenstrategien bekannt, nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen, sondern sich Teilziele setzen, schön behutsam und mit kleinen Schritten die Veränderungen im Leben angehen.

Aber an diesem Abend gewinnt mein Schweinehund in der Weinstube Schandgeige doch wieder die Oberhand. Es war ein Glas zu viel. Am Ende der Woche übergibt uns Dr. Wolf den persönlichen Herzpass mit allen relevanten Daten. Ein schöner Befund: Ich bin herzgesund. Ich rauche nicht, treibe Sport, trinke regelmäßig Rotwein. Er zeigt mir die Risikotabelle von Score Deutschland – mein Feld ist ocker markiert – und sagt sichtlich zufrieden: „Ihr Risiko, dass Sie in den nächsten zehn Jahren einen Herzanfall bekommen, liegt bei 2 Prozent.“ Nur das LDL-Cholesterin, das böse, müsse runter, mahnt der Chefarzt. Also die Ernährung ändern, weniger leckeren Kuchen essen, den abendlichen Käsekonsum drosseln, tierische Fette meiden. Dann komme ich in den grünen Bereich. Das liegt mir schon am Herzen.