Nachhaltiger Städtebau fürs 21. Jahrhundert

Mit einer Charta von Leipzig will Bundesbauminister Tiefensee zeigen, wie die europäische Stadt der Zukunft aussieht

HAMBURG taz ■ Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) plant Europas Städtebaukultur zu beflügeln. Am 24. Mai will der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister zusammen mit seinen Ministerkollegen aus den anderen EU-Ländern eine „Charta von Leipzig“ unterzeichnen, die dem Städtebau des 21. Jahrhunderts den Weg weisen soll. Ziel ist eine „integrierte Stadtentwicklungspolitik“, die räumlich verschränkt die Wirtschaft entwickelt und die Lebensqualität verbessert. Außerdem komme es darauf an, „sich um die benachteiligten Stadtteile zu kümmern“. Für diese Idee warb er gestern beim Europäischen Forum für Architekturpolitik in Hamburg.

Tiefensee setzt seine Charta gegen die 1943 von Le Corbusier veröffentlichte Charta von Athen, die für die Sünden des Städtebaus nach dem Krieg verantwortlich gemacht wird.

Wegen der zunehmenden Verstädterung spielt die Baukultur nach Meinung des Ministers eine zentrale Rolle bei der Lösung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme. Überall in Europa gebe es positive Beispiele dafür. Tiefensee: „Wenn wir es nicht schaffen, in den nächsten zehn bis 15 Jahren die Spannungen in den Städten zu entschärfen, könnten sie zu einem Hemmnis in der Entwicklung Europas werden.“

In der Charta von Athen hatte Le Corbusier dafür plädiert, Wohnungen, Arbeitsstätten und Erholungsorte auseinander zu halten. Statt in Hinterhöfen und engen Straßen sollten die Menschen in frei stehenden Wohnhochhäusern leben. Dieser Teil des Konzepts wird seit Jahren kritisiert. In der Praxis sorgte er für viel Autoverkehr und Lärm.

Mit seiner Initiative greift Tiefensee eine Gegenbewegung auf, die längst in Schwung ist. Sie orientiert sich am Ideal der „europäischen Stadt“, einem Ort, an dem die Funktionen der Stadt eng miteinander verschränkt sind, wo der öffentliche Raum eine zentrale Rolle spielt und niemand vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wird.

Für das Forum Architekturpolitik hat Tiefensee den Kopenhagener Architekten Jan Gehl untersuchen lassen, wie bauliche Veränderungen Städte revitalisiert haben. Die heruntergekommene Industriestadt Bilbao zum Beispiel erzeugte mit dem Bau des spektakulären Guggenheim-Museums eine Initialzündung, der andere gelobte Bauten folgten, was wiederum zu einem allgemeinen Aufschwung geführt habe. Lyon habe dagegen den öffentlichen Raum verbessert. Selbst den Menschen in Bogotá habe eine europäische Lösung, der Bau eines Radwegenetzes, Hoffnung gegeben.

In seiner Leipziger Zeit hatte Tiefensee auf Großprojekte gesetzt. Die Stadt erlebte einen Bauboom, der zum Ende seiner Amtszeit aufgrund der vielen Leerstände und der Zerstörung historischer Bausubstanz zunehmend kritisch gesehen wurde. Er hinterließ eine Stadt mit den meisten Arbeitslosen und Kriminellen pro Einwohner in Sachsen. GERNOT KNÖDLER