Gül durchgefallen

Der Außenminister verliert erste Runde der türkischen Präsidentschaftswahl. Dem Land droht eine tiefe Krise

ISTANBUL taz ■ Die Türkei bewegt sich auf eine veritable Verfassungskrise zu. Der gestrige erste Wahlgang für die Wahl eines neuen Staatspräsidenten wurde von der Opposition boykottiert. Da die größte Oppositionspartei CHP und die kleineren Oppositionsparteien Anap und DYP die Wahl des AKP-Kandidaten, des amtierenden Außenministers Abdullah Gül, verhindern wollen, erschienen sie nicht im Parlament, um zu verhindern, dass 367 Abgeordnete anwesend waren. Gül erhielt im ersten Wahlgang dann auch nur die 357 Stimmen der AKP im Parlament.

Der Präsident kann im ersten Wahlgang nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit (367 Stimmen) gewählt werden. Sind es weniger, sei das Parlament nicht beschlussfähig, argumentiert Oppositionsführer Deniz Baykal. Parlamentspräsident Bülent Arinc von der AKP stellte dennoch die Beschlussfähigkeit der Versammlung fest und ließ die anwesenden 360 Abgeordneten abstimmen. Zudem reichte die CHP beim Verfassungsgericht Klage ein, um die Wahl für ungültig zu erklären.

Die AKP hat nun drei Möglichkeiten, auf das Manöver der Opposition zu reagieren: Sie kann eine Entscheidung des Verfassungsgerichts abwarten, sie kann einfach den zweiten und dritten Wahlgang anberaumen und so ihren Kandidaten zum Präsidenten wählen mit dem Risiko, dass die Wahl später vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt wird, oder sie kann mit ihrer absoluten Mehrheit eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen beschließen. Die Opposition hatte zuvor betont, die Präsidentschaft sei „die letzte Bastion des Säkularismus“ und könne deshalb nicht der AKP überlassen werden. JÜRGEN GOTTSCHLICH