THEATER

betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Na gut. Gerade hatte schon Georg Büchners „Woyzeck“ Premiere. Leander Hausmann hat erst Anfang September das berühmte Stück des 23-jährigen Dichters auf die Bretter der Berliner Ensembles gebracht. Und zwar allgemein bejubelt. Jetzt schon wieder eine „Woyzeck“-Premiere: um die Ecke im Deutschen Theater. Doch weil hier der Regisseur nun Sebastian Hartmann heißt, sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Inszenierungen kaum zu befürchten. Hartmann hat fast das ganze Personal gestrichen und nur noch Woyzeck und seine Geliebte Marie übrig gelassen. Dazu kommt noch der Indie-Musiker Christoph Märki Hamann und das wär’s dann auch schon. Gemeinsam wollen sie der Frage auf dem Grund gehen, wie das Böse in die Welt, also in den Menschen kommt. Solche Fragen können einem ja angesichts der aktuellen Weltlage auch schon mal kommen. Dabei wollen Hartmann & Co. sich nicht, wie viele Woyzeck-Deuter zuvor, mit dem sozialdramatischen Ansatz des Unterdogs zufriedengeben, dessen Demütigung sich eines Tages im Mord entlädt. Versprochen werden tiefere Bohrungen am Gegenstand. (Deutsches Theater: „Woyzeck“, Premiere, 3. 10., 19.30 Uhr)

Schnelle Antworten haben Mainstreammenschen meist, wenn sie hören, dass gewisse Minderheiten ihre Söhne beschneiden lassen. Juden und Muslime zum Beispiel, zur Besiegelung des abrahamitischen Bundes. Das sollte 2012 bereits gesetzlich verboten werden, was eine breite gesellschaftliche Debatte auslöste. Mit diesem Ritual befasst sich nun die neue Produktion des Ballhauses Naunynstraße. „Vorhaut“ ist sie kurz und bündig überschrieben, und damit nach dem Corpus Delicti benannt. Schauplatz ist ein Berliner Krankenhaus, wo es kurz vor dem einschlägigen Eingriff zu allerlei Verwicklungen kommt, in deren Verlauf die Angelegenheit sehr kontrovers und vor allem interkulturell erörtert wird. (Ballhaus Naunynstraße, 7. und 8. Oktober, jeweils 20 Uhr)

Aber vielleicht ist diese ganze Debatte auch nur das Ergebnis der Hysterie einer durch und durch verunsicherten Gesellschaft. Das wäre Grund genug, dem Phänomen Hysterie einmal ganz allgemein und krankengeschichtlich auf den Grund zu gehen. Zu diesem Zweck haben sich das deutsche Perfomance-Kollektiv bigNOTWENDIGKEIT und die ungarischen Tänzer László Fülöp und NANASTROVA alias Anna Biczók zusammengetan und zwischen Budapest und Berlin den Abend „Hysteriology“ erarbeitet: Präsentation und Selbstversuch, Lecture Performance und Melodrama in einem – eine Krankheit als Kunstform oder auch umgekehrt. (Sophiensäle, 8., 9. und 10. 10., 19.30 Uhr)