Hertha träumt schon wieder

Haushoher Sieg, doch kein spektakuläres Spiel. Beim Abstiegskandidaten Alemannia Aachen gewinnt Hertha BSC 4:0 – dank der grotesken Vorstellung des Gegners. Trotzdem denken die Berliner schon an den Uefa-Cup mit Trainer Heine

Das Ergebnis klingt beeindruckend, wenn nicht sogar spektakulär. 4:0 gegen Alemannia Aachen. Doch überragend hatte sich Hertha BSC keineswegs präsentiert gegen eine Mannschaft, die schon zum 8. Mal in dieser Saison auf heimischem Platze verlor und vor allem in der zweiten Halbzeit eine grotesk wehrlose Vorstellung ablieferte.

Die Berliner spielten netten Kombinationsfußball, technisch auf hohem Niveau, aber selten zwingend. Das 1:0 wurde ihnen geschenkt durch eine Verkettung Aachener Defensivdesaster, wenn auch schön und cool erzielt vom überragenden Brasilianer Gilberto. Dennoch wirkte Hertha lange wie eine technisch brillante Kirmestruppe, die sofort wanken würde, wenn sie nur mal ein Gegentor bekommen hätte. Die Stellungsprobleme in der Abwehr der Herthaner waren unverkennbar. Aber Aachen forderte sie nie recht. Stattdessen genügten Einwechselspieler Marko Pantelic gegen Aachens Scheindefensive nach elf torlosen Spielen ganze 4 Minuten zum ersten Treffer nach 856 Minuten Frust.

Der wieder genesene Kapitän Arne Friedrich lieferte nach einem gekonnten Feuerwerk an Floskeln („Wir haben sehr clever gespielt“) ein klares Bekenntnis zum neuen Trainer ab: „Taktisch hervorragend und intensiv eingestellt“ habe sie Aushilfstrainer Karsten Heine „mit genau den richtigen Rezepten“. Ob das eine Meinungsäußerung zur Weiterbeschäftigung des rituellen Interimstrainers über das Saisonende hinaus sei? Friedrich: „Absolut!“

Heine log derweil, ein langfristiger Vertrag sei „überhaupt kein Thema für mich“, das alles sei jetzt doch „völlig uninteressant“. Stattdessen lobte er sein Ensemble, das „immer weiter nach vorne“ gespielt habe, auch nach klarer Führung, und wusste, dass Jens Fiedlers gehaltener Elfmeter „ein wichtiger Grundstein“ gewesen sei. Der Mann mit der Maske, der für jede Besetzung eines Zorro-Remake eine Zierde gewesen wäre, drehte Reghecampfs Kracher in der 15. Minute beim Stand von 0:1 um den Pfosten.

Herthas Linien-Zorro spielte noch mal eine Rolle, kurz vor Schluss. Da lag Aachens Sergio Pinto schmerzverzerrten Gesichts mit Wadenkrampf im Hertha-Strafraum, Aachens Nationalkicker Jan Schlaudraff stand dabei, guckte kurz und drehte ab, wütend ausgepfiffen von den eigenen Fans. Stattdessen kümmerte sich Fiedler um den maladen Gegner und bekam dafür demonstrativen Beifall.

Die Empörung der Tivosi fokussierte sich ohnehin auf den Scheinstar Schlaudraff. Dessen Einsatz und Wirkung waren identisch: nahe null – wie schon so oft, seit er sich für den FC Bayern schont. War der Baldmünchner zu erschöpft? Alemannias Pressesprecher wurde gebeten, „den Jan, wenn er dazu konditionell noch in der Lage sein sollte“, in die Mixed Zone zu bitten. Antwort: „Ich weiß nicht, er wirkt sehr ausgepumpt.“ Schlaudraff scheute die Presse. Hatten die Berliner um den nicht auch mal mitgebuhlt?

Innerhalb von 90 Minuten hatte Herthas komplette Sichtweise gewechselt. Karsten Heine: „Wir wussten vor dem Spiel, dass wir uns im Abstiegskampf befanden.“ Danach war Arne Friedrich froh, dass bei 41 Punkten „der Druck weg ist“, und will kommenden Sonntag „Bremen ärgern“. Und dann? „Mal sehen, was noch geht.“ Manager Dieter Hoeneß, eben noch am Pranger und in Aachen von einem großen „Hoeneß raus“-Plakat begrüßt, hatte über alle Ohren grinsend gleich wieder Großes im Sinn: „Jetzt wollen wir das Optimale aus der Saison herausholen.“ Der Mann schielt zum Uefa-Cup-Platz. BERND MÜLLENDER