Stefan Osterhaus schaut sich in den Galerien von Berlin um

Die Büste – wie wäre unser Bild von den Mächtigen der Vergangenheit ohne sie? Hannibal, Cäsar, Cicero. Die Büste gibt uns ein Bild von ihnen, sie war das Porträt der Antike. Wie würden wir uns heute König Pyrrhos vorstellen, wenn man seine steinerne Visage nicht ausgegraben hätte. Wim Botha kommt aus Südafrika. Er lebt und arbeitet in Kapstadt. Er bohrt, obwohl gerade mal Mitte dreißig, seit Jahren ziemlich dicke Bretter. Selten fängt Botha unter Tod und Teufel an, sein faszinierendes Panoptikum spiritueller Abgründe hat er mit „All around“, zu sehen bei Jette Rudolph, noch einmal erweitern können. Botha zeigt Büsten. Sie könnten Engeln gehören. Aber auch Teufeln. Oder Sachbearbeitern. Er hat sie aus Papier gemacht, nicht aus irgendeinem, sondern aus dem von Bibeln und Wörterbüchern: das Wissen der Welt, die Parameter von Religion und Bildung, so wie sie vielleicht vor hundert Jahren einmal gegolten haben. Mächtige Flügelschrauben fixieren die Blätter der filigranen Arbeit, als wolle Botha das Denken seiner Unbekannten einzwängen. Doch er belässt es nicht bei den Köpfen und einigen düsteren Radierungen, er leitet über in eine Art Garten Eden. Aus Styropor hat sich Wim Botha einen strahlend weißen Tierpark geschnitzt, der trügerische Erlösung verheißen könnte, würde er nicht von einem Sturm mitgerissen werden. Erlösung – ist es das, was sich Jenny Michel von ihrem „Paradise“ erwartet? Wo Botha weit ausholt, schaut Michel im abgedunkelten Raum auf einen Mikrokosmos. Auf Stelen, die – in der Höhe unterschiedlich – vielleicht nicht zufällig an ein Monument in Berlins Mitte erinnern. Landkarten und Skizzen zeigen unendlich viele Details, schnell kann man sich darin verlieren. Jenny Michels Arbeit ist ein Irrgarten, der keine Orientierung bietet. Das Paradies muss demzufolge ein ziemlich bedrohlicher Ort sein. Irgendwie beruhigend.

■ Wim Botha: All around; Galerie Jette Rudolph, Zimmerstr. 90–91; Di.–Sa. 11–18 Uhr ■ Jenny Michel, Paradise, Kunstagenten, Linienstr. 155, Mi.–Sa. 14–19 Uhr