Europa und der Schutz der Meere

Ab heute beraten rund 500 Experten bei einer internationalen Konferenz in Bremen, wie die künftige EU-Meerespolitik aussehen soll. Grundlage der Gespräche ist der Entwurf eines Grünbuchs von EU-Kommissionspräsident Barroso

Helga Trüpel hat noch Visionen: „Das Wasser unserer Meere muss wieder kühl und klar werden“, fordert die grüne Europaparlamentarierin aus Bremen. Ob das deckungsgleich ist mit der „Europäischen Vision für Ozeane und Meere“, über die ab heute an der Weser beraten wird, ist jedoch fraglich. Bis Freitagabend wird im Congress Center Bremen über die künftige Meerespolitik der Europäischen Union diskutiert. Grundlage ist der Entwurf eines Grünbuchs, das vor elf Monaten von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Fischereikommissar Joe Borg veröffentlicht wurde.

„Zehn zentrale Punkte“ hat Trüpel deshalb am Montag vorgestellt, um den Schutz der Meere zum Bestandteil einer „integrierten EU-Politik“ zu machen. Der Schutz bedrohter Fischbestände und Maßnahmen gegen die Versauerung der Meere gehören dazu, ebenso wie die Forderung, „möglichst emissionsfreie Schiffe“ zu entwickeln. Der Meeresschutz dürfe nicht der Wirtschafts-, Verkehrs- und Agrarpolitik „nachgeordnet“ werden, findet Trüpel, sonder müsse „oberste Priorität“ haben.

Mit dem Grünbuch will die EU-Kommission zu einem „integrierten und nachhaltigen Umgang“ Europas mit den Meeren und Ozeanen vor seinen Küsten gelangen, hatte Barroso erklärt. Auf etlichen Konferenzen in Bremen, Hamburg, Kiel und Stralsund hatten Fachleute, Lobbyisten und Politiker seitdem über den „Denkanstoß aus Brüssel“ debattiert, ähnliche Tagungen gab es in allen Küstenländern der EU. Das vorläufige Ergebnis wird am Freitag in Bremen als die deutsche Position formuliert.

Ein aktuelles Beispiel für die Konflikte und Probleme der Meeresnutzung ist Travemünde. Der Lübecker Vorort an der Ostsee ist der größte Fährhafen in der EU, und deshalb droht ihm „der Status als Seeheilbad aberkannt zu werden“, klagte Uwe Döring, SPD-Europaminister in Schleswig-Holstein. Denn die Schadstoffemissionen der Schiffe trüben die Qualität von Luft und Wasser massiv – und gefährden damit das zweite wirtschaftliche Standbein der Hafen- und Ferienstadt: den Tourismus.

Wie Probleme vermieden werden könnten, hat jüngst der schwedische Agrarwissenschaftler Artur Granstedt nachgewiesen: Die Belastung der Ostsee mit Stickstoffen würde um 50 Prozent steigen, wenn die neuen EU-Mitglieder Polen und die baltischen Länder mit Subventionen aus Brüssel Landwirtschaft so betreiben würden, wie bislang die skandinavischen Länder. In einem dreijährigen Pilotprojekt hat Granstedt nun errechnet, dass die ökologische Landwirtschaft die Emissionen in Boden und Wasser „um 70 bis 75 Prozent verringert“. Um den Öko-Landbau zu fördern, seien klare politische Vorgaben der EU erforderlich – eine der „konkreten Handlungsanweisungen“ mithin, die sich Barroso nach Abschluss des europaweiten Diskussionsprozesses in der Endfassung des Grünbuchs erhofft.

Solch gute Absichten lobt auch Nadja Ziebarth von der Aktionskonferenz Nordsee. Allerdings werde „der ökologische Erhalt der Meeresumwelt“ von der EU „durchgängig nur insoweit propagiert, als er zu weiteren wirtschaftlichen Nutzung des Meeres erforderlich erscheint“, heißt es in ihrer ausführliche schriftlichen Stellungnahme zum Entwurf des Grünbuchs. Dessen Umsetzung würde „letztlich ähnlich verheerende Folgen nach sich ziehen wie jene Industrie- und Verkehrspolitik, die zum jetzt beklagten Klimawandel geführt hat“. Der grundlegende Fehler in der vorläufigen Fassung des Grünbuchs sei, dass dem Meer „kein schutzbedürftiger Eigenwert“ zuerkannt werde.

SVEN-MICHAEL VEIT