Wahlkampf der Akademiker

In Bremen ruft die Uni den Aufstand gegen die große Koalition aus. SPD und CDU kommt das ungelegen: Sie haben den 30.000 potenziellen WählerInnen aus den Hochschulen nichts anzubieten

VON JAN ZIER

Es ist eine kollektive Rebellion. Die Universität Bremen erhebt sich einmütig mit den Hochschulen des Landes gegen die seit zwölf Jahren regierende große Koalition. Und das mitten im Wahlkampf.

Es geht um gut 30.000 potenzielle WählerInnenstimmen, aber nicht nur. Es geht um eine jahrzehntelang als rote Kaderschmiede verschrieene Uni – die noch im vergangenen Jahr, in der ersten „Exzellenzinitiative“, als eine von zehn deutschen Elite-Unis gefeiert wurde. Seinerzeit war es der einzige akademische Leuchtturm im Norden, die Deutsche Forschungsgemeinschaft sprach gar vom „Wunder an der Weser“.

Und es geht um eines der wenigen ökonomischen Erfolgsprojekte dieses Bundeslandes – die Wissenschaft. In Bremerhaven, der Stadt mit der höchsten Arbeitslosigkeit im Westen der Republik, sind es gerade Hochschule und Forschung, die für einen zaghaften Aufschwung sorgen, wie eine Studie der Arbeitnehmerkammer jüngst belegte. Seit 1998 stieg in Bremerhaven die Zahl der Jobs für AkademikerInnen in Wissenschaft und Forschung um fast 40 Prozent. Schon jetzt ist das Alfred-Wegener-Institut mit 600 Beschäftigten nicht nur das größte maritime Forschungszentrum Deutschlands. Sondern auch einer der größten Arbeitgeber in der Stadt. Rund 1.000 Menschen in Bremerhaven arbeiten derzeit im Umfeld der Wissenschaft – für eine Stadt wie Bremerhaven „überdurchschnittlich viel“, wie die Studie sagt.

Auch Uni-Rektor Wilfried Müller versucht, mit dieser Erkenntnis zu SPD und CDU vorzudringen: „Es ist belegt, dass noch keine Stadt ohne eine Erweiterung seines Wissenschaftssystems aus der Krise gekommen ist.“ Er sagt dies vor mehr als 2.000 Studierenden, Mitarbeitern und Professoren seiner Uni, mit denen er sich jüngst erstmals verbündet hat, gegen die große Koalition.

Die hat sich soeben auf einen Wissenschaftsplan geeinigt, der bis 2015 allein an der Uni jede vierte Professur streichen will: 74 von 314 Lehrstühlen stehen dort in Frage. Die Studierende sehen darüber hinaus jeden vierten Studienplatz bedroht – obwohl der Bedarf in den kommenden Jahren stark steigen wird. Die Uni fühlt sich verraten und Müller, der einst den „Mittwochssozialisten“ angehörte, gibt sich ungewohnt kämpferisch: „Wir müssen alles tun, um HEP V zu verhindern.“

Noch im Januar war er bereit, die Sparpläne der großen Koalition gegen alle Widerstände durchzusetzen. Doch dann sprengten mehr als 200 Studierende eine Sitzung des Akademischen Senats, des höchsten demokratisch gewählten Uni-Gremiums – eine Aktion, für die sich Müller später bei den Studierenden bedankte.

Jetzt hat Müller seine drei bremischen Rektorenkollegen mobilisiert, gemeinsam werden sie heute vor die Presse treten. Und dies ist weit mehr als eine mediale Routine, denn in der Vergangenheit versagte die Uni der Hochschule oft genug den gemeinsamen Widerstand gegen fast 100 Millionen Euro schwere Sparpläne der bremischen Landesregierung. Jetzt ist es die Hochschule, in der Rektor Elmar Schreiber und der AStA nach dem Vorbild der Uni über gemeinsamen Widerstand beraten.

Ihren Studierenden haben die Uni-ProfessorInnen vorsorglich frei gegeben, die Anwesenheitspflicht bei den Lehrveranstaltungen ist bis auf weiteres aufgehoben: Sie sollen ja in der Innenstadt demonstrieren können. Und keinem Studierenden, so wurde es offiziell beschlossen, soll daraus ein Nachteil für sein Studium entstehen.

In Bremen ist dies die Chance der kleinen Parteien, denn die Uni will ihren Protest als Kampfansage an die große Koalition verstanden wissen. Der Wahlkampf, bislang eher arm an Themen, gewinnt an Inhalt. Die Grünen haben umgehend ihre Solidarität bekundet – und für den Fall einer grünen Regierungsbeteiligung zweistellige Millionenbeträge für Bremens Hochschulen eingefordert.

Die Linkspartei hat sich bereits an die Spitze der Bewegung gestellt. Die Uni-Vollversammlung in der vergangene Woche wurde von zwei der ihren moderiert: Felix Pithan, ein Studierender, der am 13. Mai für die Linke kandidiert, und Wolfram Elsner, ein Wirtschaftsprofessor, dessen Name bei der Bundestagswahl auf der Linken Liste stand.

Das Spitzenpersonal von SPD und CDU reagierte indes schmallippig, als die Studierenden vergangene Woche vor der Bürgerschaft ihre Protestnote überreichten. CDU-Bürgermeister Thomas Röwekamp nimmt das Papier und geht kommentarlos vorüber, ein Lächeln auf den Lippen. Auch SPD-Fraktionschef Carsten Sieling kann sich kein Wort entringen, nur sein Fraktionsgeschäftsführer nimmt sich Zeit für die Protestierenden und absolviert einen „Hindernislauf um Studienplätze“ vor dem Parlamentssitz. Anschließend freut er sich, „dass wir miteinander gesprochen haben“.