Jugendamt überrascht

Mutter der vernachlässigten Kinder hat sich offenbar täglich um diese gekümmert. Neuer Verwahrlosungsfall bekannt – Grüne fordern mehr qualifiziertes Personal

Im Fall der vier sich selbst überlassenen Kinder aus dem Bezirk Pankow gibt es überraschende Aussagen. Die Mutter soll sich nach Angaben des Jugendamts täglich um die Kinder gekümmert haben, nachdem sie im Sommer vergangenen Jahres die Wohnung verlassen hatte und zu ihrem Freund gezogen war. Unterdessen wurde am Montag ein weiterer, vergleichbarer Fall von Kindesvernachlässigung in Berlin bekannt.

„Die Mutter hat die Kinder nicht durchgängig allein gelassen“, sagte die Pankower Jugendstadträtin Christine Keil (Linkspartei.PDS) am Montag nach einem Gespräch mit der 46-Jährigen. Sie sei täglich in die Wohnung gekommen und habe die Kinder versorgt. Wie dies genau ablief, wollte Keil mit Verweis auf die Privatsphäre der Familie nicht sagen. Sie räumte ein, dass die Wohnung „in einem nicht akzeptablen Zustand“ gewesen sei. Warum die Mutter es nicht geschafft habe, aufzuräumen, könne sie nicht sagen. Die Frau habe sich insgesamt „gesprächsbereit und kooperativ“ gezeigt. Keil kritisierte zudem die Berichterstattung in den Medien. Es könne nicht sein, dass die Familie „mit Adresse und Hausnummer“ genannt werde. Das sei ein Thema, das nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden solle.

Der Leiter des Sozialpädagogischen Dienstes Prenzlauer Berg, Axel Biere, sagte, es sei noch völlig offen, ob die Kinder mit ihrer Mutter künftig zusammenleben. Das müsse nach Beratungen in den nächsten Wochen geklärt werden. Alle Möglichkeiten würden ins Auge gefasst. Laut Biere hat sich mittlerweile auch der Vater gemeldet, der künftig in die Beratungsgespräche einbezogen werden soll. Den Angaben zufolge sind die Kinder derzeit noch in einem Heim untergebracht. Es sei „keine Situation, wo wir jemandem Versagen vorwerfen können“, sagte Biere. Aus Gesprächen mit Eltern und der Schule habe sich ergeben, dass die Mutter auch regelmäßig zu den Elternabenden erschienen sei. Die Kinder hätten zudem an Klassenfahrten teilgenommen und gut gelernt.

Unterdessen wurde die Polizei von einer besorgten Anwohnerin wegen eines weiteren Falls von Kindesvernachlässigung in Reinickendorf verständigt. In einer Wohnung voller Unrat, Müll und Schmutzwäsche entdeckten die Beamten Maden auf bis zu 50 Zentimeter hoch aufgestapelten Essensresten. Den Angaben zufolge leben dort eine 40-jährige Mutter und ihre 12- und 4 Jahre alten Töchter. Die vor kurzem geborenen Zwillinge waren noch im Krankenhaus.

Um künftig mehr Kinderschutz zu bieten, wird am Mittwoch eine neue Hotline freigeschaltet. Unter der Telefonnummer 61 00 66 sind nach Angaben von Jugendsenator Jürgen Zöllner (SPD) rund um die Uhr kompetente Fachleute im Einsatz.

Angesichts der jüngsten Fälle von Kindesvernachlässigung haben die Grünen erhebliche Lücken beim Kinderschutz in der Hauptstadt beklagt. Um schnellstmöglich helfen zu können, benötigten die Jugendämter in den Bezirken ausreichend qualifiziertes Personal, mahnte die familienpolitische Sprecherin der Grünen-Abgeordnetenhausfraktion, Elfi Jantzen. Jährlich müssten in den Jugendämtern 50 neue Fachkräfte eingestellt werden, um die altersbedingt ausscheidenden Mitarbeiter zu ersetzen. DPA