Wind und Wallenstein

In Berlin gibt es zwei Tragödien des Nichthandelns. Eine davon ist die Energiepolitik DAS SCHLAGLOCH von MATHIAS GREFFRATH

Hätten wir den Weg in die erneuerbaren Energien früher beschritten, stünden wir heute anders da

Zwei politische Tragödien stehen in Berlin vor der Aufführung. In beiden geht es um Scheitern aus Unentschlossenheit. Die eine Tragödie hat einen massiven Helden, der am Ende stirbt; in der zweiten gibt es nur ein Gewirr von Kleindarstellern. Beide handeln von politischen Akteuren an einem historischen Wendepunkt. In beiden Fällen wissen sie, was getan werden muss, aber tun nicht, was sie wissen. Und in beiden Fällen erwächst aus dem Zaudern die Katastrophe.

Die eine Tragödie hat in ein paar Wochen Premiere in einer stillgelegten Brauerei in Neukölln. Dort inszeniert Peter Stein den „Wallenstein“, Schillers Drama über den Herzog von Friedland, diese schillernde Gestalt aus dem Dreißigjährigen Krieg: Condottiere, Logistiker und Stratege, Machtpolitiker auf eigene Rechnung (vgl. Kerstin Deckers Schlagloch vom 25. 4.). Ein früher Merkantilist, ein Rationalist der Macht, der das Zeug gehabt hätte, mit Gewalt das von Kleinfürsten, rivalisierenden Interessen und Konfessionen zerrissene Deutschland auf den Weg in eine überkonfessionelle, absolutistische Staatlichkeit zu führen. Aber in Dünkel und Eigeninteresse gefangen, abergläubisch auf Zeichen aus den Sternen wartend, verfing sich Wallenstein im Netz halbgesponnener Pläne, wartete zu lange auf optimale Rahmenbedingungen, wollte letzte Sicherheiten und ging daran zugrunde. Und der Dreißigjährige Krieg dauerte noch vierzehn Jahre.

Steins „Wallenstein“ – eine Tragödie des Nichthandelns – wird abgespielt sein, eh der Sommer noch wärmer wird. Die andere Tragödie schleicht sich weiter. Die Energiepolitik. Auf der historischen Tagesordnung steht der schnelle Schritt in die CO2-freie Gesellschaft. Deutschland hat dafür die besten Voraussetzungen: In den letzten fünf Jahren sind wir zum Vorreiter in Sonnen- und Windenergie geworden, der Anbau von Energiepflanzen läuft inzwischen erfolgreich. Ginge es in diesem Tempo weiter, müsste kein neues Atom- und kein neues Kohlekraftwerk mehr gebaut werden. Die Randbedingungen für Zukunft sichernde Umbauten sind so gut wie nie. Die Medien haben den Klimawandel zum Dauerthema, diskutieren Großstrategien und Kleinstmaßnahmen. Wenn jetzt eine Regierung, mit einem einigermaßen kohärenten Gesamtplan und dem Segen der Wissenschaft versehen, große Ziele setzte – die Folgebereitschaft wäre ihr gesichert. Stattdessen wird überall angestückelt und auf wechselndem Druck aus wechselnden Richtungen reagiert.

Das hat seinen Grund: Langfristig orientierte Energiepolitik muss das Industriesystem neu erfinden – mit einer Mischung aus Technokratie, konsistenter Vision, Machtwillen und Humanismus. Und dazu muss sie den harten Konflikt mit den fossilen Reaktionären wagen.

Der Schritt in die solare Epoche kann nur gelingen, wenn die Macht unter den Energieproduzenten neu verteilt wird: An die Stelle einiger Strom- und Treibstoffmultis müssen viele dezentrale Produzenten treten: Wind-, Wasser- und Sonnenenergie, Biosprit, Kraftwärmekopplung und Sparstrategien können ihre volle Wirkung nur erzielen, wenn sie dezentral organisiert werden und sich wechselseitig verstärken. Ein aktiver Staat muss diese Synergien systematisch anstoßen, fördern und koordinieren.

In den letzten Jahren hat das Energieeinspeisungsgesetz regenerative Energie-Inseln ermöglicht. Dieser Prozess verliert gegenwärtig an Kraft. Im Bündnis mit Energiekonzernen blockieren Landesregierungen den Ausbau der Windenergie mit administrativen Beschränkungen. 2006 sind die fiskalischen Einführungshilfen für Biodiesel gestrichen worden. Raps aus Brandenburg ist sicher nicht der Energieweisheit letzter Schluss, aber es war ein erster Schritt in Strukturen dezentraler Versorgung mit nachwachsender Energie, hat der Landwirtschaft einen Wachstumsschub gegeben und zigtausend Arbeitsplätze geschaffen. Die Steuererhöhung für Biodiesel wurde gegen Mehrheiten in allen Fraktionen, gegen das Votum aller Sachverständigen – mit Ausnahme des Vertreters der Mineralölwirtschaft – und mit dem (auf fantasielosen Berechnungen beruhenden) Votum des Finanzministers beschlossen. „Die Klitschen müssen weg“, sagte der SPD-Politiker Schultz im Finanzausschuss – in der fossilen Weltanschauung vieler Politiker kann man ökologische Energiepolitik nach wie vor nur mit den „Großen“ machen.

Die CO2-Emissionen in Deutschland steigen gegenwärtig wieder an, aber vierzig neue Kohlekraftwerke werden geplant – als „Übergangsenergie“, wie es heißt. Ginge man entschlossen den kurzen Weg in die Solare Gesellschaft, mit einem forcierten Ausbau von Windrädern (etwa entlang der Autobahnen und ICE-Strecken), von Photovoltaik, Biogas, Kraftwärmekopplung (Gesetze!) und Wärmedämmung (Gesetze!) – wären diese Neubauten nicht nötig, die Grundlage zukunftssicherer Infrastrukturen gelegt und die Importabhängigkeit gemindert. Die Berechnungen der Umweltverbände und von „Eurosolar“ belegen diese Möglichkeit (siehe etwa Solarzeitalter 1/2007), aber dieser kohärente Energiepfad wird nicht im Parlament thematisiert. Stattdesssen wird überall angestückelt.

Jede Entscheidung tötet andere Optionen – das ist der Grund für Wallensteins, für jedes Politikers und jedes Menschen Zaudern. Jedes Abwarten in Situationen, die reif zu einer Entscheidung sind, macht mich vom Akteur zum Getriebenen, dessen Handlungsspielraum schrumpft. Hätten wir vor fünfundzwanzig Jahren den Weg in die erneuerbaren Energien beschritten, stünden wir heute anders da. Unterlassen wir es heute, den Fortschritt von Wind, Sonne, Biomasse und Effizienztechnologien zu beschleunigen, werden wir die Lösungen der Vergangenheit – Atom, Kohle, Verschwendung – noch jahrzehntelang erleiden.

„Wallenstein“ wird gespielt sein, eh der Sommer wärmer wird. Die andere Tragödie schleicht sich weiter

Wie Wallenstein suchen die Regierungen den Trost in den Sternen: Man könne Kohle sauber verbrennen – aber niemand hat derzeit die Technologie dafür; wir könnten mit Atom CO2 reduzieren – aber nirgendwo auf der Welt funktioniert eine Brütertechnik, ohne die auch Atomkraft nur eine Zwischenlösung wäre. Es gibt keine technischen Gründe fürs Zögern. Eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien ist machbar – allerdings nicht in den alten Strukturen. Festhalten an ihnen blockiert das Neue, zum Beispiel die Entwicklung neuer Speichertechnologien. Wie hieß doch gleich das liberale Credo: Unsicherheit hemmt Investitionen.

„Sei im Besitz, und Du bist im Recht“, klagt Wallenstein kurz vor seinem Ende. Die Volksvertreter von heute wagen es nicht, die fossilen Mächte der Vergangenheit herauszufordern und eine neue Epoche zu beginnen. „Das ewig Gestrige“ beherrscht den Markt. Die Schrift der Klimaforscher steht an der Wand, und unsere Haut spürt den warmen Wind der neuen Zeit. „Das ist der Fluch versäumter Politik“, möchte man Schiller umformulieren, „dass sie fortzeugend immer Falsches muss gebären.“ Dieser Energiekrieg wird länger als dreißig Jahre dauern.

Mathias Greffrath ist Publizist und lebt in Berlin