Britische Terrorurteile bringen Terrordebatte

Lebenslange Haft für Planer von Bombenangriffen in England 2004. Sie hatten mit den späteren Londoner U-Bahn-Attentätern zu tun. Die entgingen damals aber der Aufmerksamkeit der Polizei. Erst jetzt wird das bekannt

Die Zahl der weltweiten Terroranschläge ist im vergangenen Jahr um mehr als ein Viertel gestiegen. Das geht aus dem am Montag veröffentlichten Terrorismusbericht 2006 des US-Außenministeriums hervor. Danach wurden bei 14.000 Attacken etwa 20.000 Menschen getötet – davon allein 13.000 im Irak. Die US-Regierung zieht somit eine gemischte Bilanz des Antiterrorkampfes. Trotz erfolgreicher Schläge werde der Terror in Ländern wie Kuba, Nordkorea oder Syrien weiterhin gefördert. Deutschland wird dafür gelobt, die Gesetzgebung für den Antiterrorkampf verschärft zu haben. Das Ministerium räumt ein, dass der Irakkrieg Terroristen zusätzlich radikalisiere und zu extremistischen Aktivitäten motiviere. DPA

DUBLIN taz ■ War es nun ein Erfolg im Kampf gegen den Terror oder haben die britischen Geheimdienste versagt? Am Montag wurden fünf Studenten pakistanischer Herkunft in Großbritannien zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt, weil sie im Jahr 2004 eine Serie von Bombenanschlägen im Süden Englands geplant hatten. Premierminister Tony Blair sagte: „Eine sehr gefährliche Serie von Anschlägen ist verhindert worden. Viele Leben sind gerettet worden. Das ist ein Erfolg.“

Graham Foulkes ist dagegen der Meinung, dass die Geheimdienste versagt haben. Sein Sohn David ist einer der 56 Menschen, die bei den Londoner Anschlägen vom 7. Juli 2005 getötet wurden. Nach dem Urteil über die fünf Studenten wurde bekannt, dass ihr Anführer Omar Khyam von der Polizei mehrmals bei Treffen mit zweien der Attentäter vom 7. Juli, Mohammad Siddique Khan und Shehzad Tanweer, beobachtet worden war – und zwar 16 Monate vor den Attentaten. Die Polizei hat sie dabei belauscht, wie sie über Anschläge diskutierten. Dem Gericht war das seit Januar 2006 bekannt, doch Richter Michael Astill entschied, diese Information im Sinne eines fairen Prozesses bis zum Urteil zurückzuhalten.

Die Verwandten der Opfer der Londoner Bombenanschläge wollen nun wissen, warum die Polizei nichts gegen Khan und Tanweer unternommen hat. Jacqui Putnam, die bei den Anschlägen verletzt wurde, sagte: „Man hat uns erzählt, dass die Attentäter allein gehandelt haben und dass sie der Polizei vorher völlig unbekannt waren. Jetzt hat sich herausgestellt, dass das nicht stimmt. Was hat man uns noch verheimlicht?“ Sie verlangt eine öffentliche Untersuchung. Ein entsprechender Brief wurde dem Innenministerium in London übergeben.

Das Ministerium erklärte daraufhin, eine öffentliche Untersuchung könne „Jahre dauern und gigantische Mittel verschlingen“. Auch Premierminister Blair lehnte eine erneute Untersuchung ab. Allerdings gestand er zu, dass sich der parlamentarische Sicherheitsausschuss noch einmal die Beweise ansieht.

Jonathan Evans, Generaldirektor des Geheimdienstes MI5, bestritt, dass seine Leute nachlässig gewesen seien. „Meine Organisation hat einfach nicht die Kapazitäten, jeden zu untersuchen, der irgendwo am Rande einer Operation auftaucht“, sagte er. Der Antiterrorismuschef der Metropolitan Police, Peter Clarke, sagte, weder Khan noch Tanweer seien in Khyams Anschlagsplanung verwickelt gewesen. Die Polizei hielt sie für Randfiguren.

Die Urteile über die fünf Studenten stützen sich auf Aussagen des Kronzeugen Mohammed Junaid Babar, der im Gegenzug Straffreiheit und eine neue Identität erhält. Es ist das erste Mal, dass ein Al-Qaida-Mann vor einem britischen Gericht gegen seine Mitstreiter ausgesagt hat. Babar gab zu, dass er und die fünf Angeklagten in Pakistan ausgebildet wurden – gemeinsam mit Khan, dem Anführer der Attentäter vom 7. Juli.

Babar wurde 2004 in New York verhaftet. Seine Mutter arbeitete im World Trade Center und entging den Anschlägen vom 11. September 2001 nur knapp. Das FBI zwang ihn zur Kooperation. Andernfalls hätte man die Beweise für seine Planung zum Mord an Pakistans Präsident Musharraf offengelegt und ihn an Pakistan ausgeliefert. Dort hätte Babar das Todesurteil erwartet. RALF SOTSCHECK