Schwere Kritik an Israels Regierung

Ein Untersuchungsbericht zum Verhalten der Regierung im Libanonkrieg setzt Ministerpräsident Olmert unter Druck. Der erste Minister tritt deswegen zurück. Morgen soll in Tel Aviv unter dem Motto „Versager, geht nach Hause“ demonstriert werden

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Dem öffentlichen Druck zum Trotz will Israels Premierminister Ehud Olmert (Kadima) in seinem Amt bleiben. Einen Tag nach Veröffentlichung des Zwischenberichts zum Libanonkrieg im vergangenen Sommer zog allerdings der erste Minister die Konsequenzen und reichte seinen Rücktritt ein.

Die Kommission macht Olmert sowie Verteidigungsminister Amir Peretz (Arbeitspartei) für schwere Versäumnisse in der Vorphase und zu Beginn des Krieges verantwortlich. Unter dem Motto „Versager, geht nach Hause“ ist für morgen eine Demonstration in Tel Aviv geplant. In der Arbeitspartei wird plötzlich der Name Schimon Peres wieder ganz heiß gehandelt. Der früher unter sozialistischer Flagge amtierende Premierminister war im vorvergangenen Jahr der Kadima beigetreten.

Die Entscheidung von Regierung und Armee, die Truppen in den Libanon zu schicken, war dem Bericht zufolge „impulsiv, planlos und unüberlegt“. Neben Olmert und Peretz wird der bereits im Januar zurückgetretenen ehemalige Stabschef Dan Halutz für „schwerwiegende Versäumnisse“ in den ersten fünf Kriegstagen schuldig erklärt.

Die Kommission war infolge öffentlicher Kritik an den zentralen Drahtziehern und des dramatischen Popularitäts- und Vertrauensschwunds nach dem Krieg einberufen worden, um das Verhalten von Regierung und Armee zu untersuchen. Die fünf Mitglieder, darunter drei Professoren und zwei ehemalige Generäle der Reserve, hielten sich mit klaren Worten nicht zurück. Von „schwerstem Versagen“ ist die Rede. Olmert und Peretz, beides Zivilisten, hätten es versäumt, angesichts ihrer mangelnden Kenntnis und Erfahrung den Rat von Experten auch außerhalb der Armee einzuholen, und damit „unvorsichtig“ und „unverantwortlich“ gehandelt. Die zu Kriegsbeginn gesetzten Ziele, allen voran die Befreiung der beiden israelischen Soldaten aus den Händen der libanesischen Hisbollah, seien nicht realistisch gewesen, heißt es in dem Bericht. Peretz habe, so der Vorsitzende Richter Eliahu Winograd, „in seinem Amt als Verteidigungsminister und damit bei den Möglichkeiten der Regierung, sich der Herausforderung zu stellen, versagt“. Winograd resümierte, dass die Kommission nur Empfehlungen abgebe, andere aber über konkrete Maßnahmen zu entscheiden hätten.

Ex-Stabschef Halutz musste bereits im Januar seine Uniform an den Nagel hängen, nachdem sich abzeichnete, was ihn in dem Bericht erwartet. Seine Verantwortung sei „umso größer“, betonte Winograd, da Halutz sich „der mangelnden Erfahrung der politischen Führung bewusst war“. Die Kommission wirft ihm vor, er habe weder auf Zweifel reagiert noch die innerhalb der Armee bestehenden Meinungsunterschiede über Ziel und Methode vor die politische Führung gebracht. „Es gab andere Verantwortliche“, räumte Winograd ein, ohne Namen zu nennen.

Die Regierung hatte die Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, einstimmig befürwortet. Auch der Winograd-Bericht entlässt die Minister nicht aus der Verantwortung. Zu seinen Empfehlungen gehört, „das Grundwissen der Minister“ und die Art der Diskussionen und Entscheidungsfindung zu verbessern. Zudem müsse künftig das Außenministerium bei sicherheitspolitischen Debatten mit einbezogen werden. Den in dem Bericht zitierten Aussagen zufolge fühlten sich die Minister zum Teil überfordert und überrumpelt, da die Entscheidungen bereits gefallen seien, bevor sie im Kabinett debattiert wurden.

Den Ministern kommt es entgegen, die Schuld auf Olmert und Peretz abzuwälzen. Der Minister ohne Aufgabenbereich Eitan Kabel (Arbeitspartei) reichte seinen Rücktritt ein; er könne „nicht länger in einer Regierung mitwirken, der Olmert vorsitzt“.

Auch Kabels Parteifreund Ofir Pines-Pas, der wenige Monate nach dem Krieg aus Protest gegen den Einzug des rechtsnationalen Avigdor Lieberman ins Kabinett von seinem Ministerposten zurücktrat, forderte seine Fraktion auf, die Koalition zu verlassen. Nur wenn Olmert zurücktrete, „was ich für möglich halte“, so Pines-Pas, sei ein „gemeinsames Nachdenken mit der Kadima über neue Wege möglich“. Der Abgeordnete hält die Außenministerin Zipi Livni für „eine Kandidatin, mit der man über Regierungsleitlinien reden kann“. Sollte Olmert nicht zurücktreten, dann steht vermutlich eine Koalitionskrise an. Der vollständige Bericht soll bis zum Sommer fertiggestellt werden.

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