Gebrochene Stimme

Als Marianne Faithfull 1979 das Album „Broken English“ veröffentlichte, hatte sie eine anderthalb Jahrzehnte dauernde Achterbahnfahrt hinter sich: Erfolge als Sängerin und Schauspielerin, die sehr öffentlich gelebte Beziehung zu Mick Jagger, erheblicher Substanzenkonsum. Faithfull erklärte später in einem Interview, dass vor allem die öffentliche Wahrnehmung ihrer Drogenabhängigkeiten sie zerstören sollte. Ihrer Ansicht, dass Männer mit solchem Verhalten glamouröser und interessanter werden, während Frauen zu Schlampen und in Faithfulls Fall zu schlechten Müttern abgestempelt werden, ist kaum etwas hinzuzufügen. Die durchgeknallte Muse der Stones – darauf wird sie nicht selten bis heute reduziert.

So war vor wenigen Wochen erst im ansonsten gerade in diesen Dingen eher aufmerksameren Guardian ein unmögliches Stück über Models, die aus Langeweile anfangen zu singen, zu lesen. Erstes Beispiel im Text: Marianne Faithfull, die nie ein Model war.

Dass man vielleicht ihre frühen eigenen Erfolge als Künstlerin vergessen haben mag und auch sonst über ihre ersten Karriereschritte schlecht informiert ist, geschenkt. Spätestens jedoch mit „Broken English“ hat Marianne Faithfull unbestreitbar einen Status als bemerkenswerte Sängerin erreicht. Und das zu einer Zeit, als ihre früheren Liebhaber in fantasieloser Redundanz anfingen, ihre eigenen Tribute-Bands zu werden. Faithfulls vormals klare Stimme ist 1979 durch ein Leben, das sie in der Zwischenzeit bis in die Obdachlosigkeit geführt hatte, völlig verändert. Tief und gebrochen gibt sie dem später passenderweise zum Soundtrack von „Thelma und Louise“ gehörenden Stück „The Ballad of Lucy Jordan“ eine Disparität, die das Original von Dr. Hook kaum erreichen konnte. Selbst John Lennon fällt beinahe zurück hinter die finstere und wie die ganze Platte von kalten Synthesizern beladene Faithfull-Version von „Working Class Hero“. Das ganze Album atmet noch den Geist der Punkgeneration und ist damit Manifest der gelungenen Transformation in ein neues Zeitalter der Popmusik.

Einen ganz eigenen Skandal hatte das Album dann auch: das vom Dichter Heathcote Williams ursprünglich für Tina Turner geschriebene „Why’d Ya Do It?“. Ganz richtig und erfolgreich argumentierte Marianne Faithfull ihm gegenüber, dass dieses von eindeutigem sexuellem Bezug überquellende Stück wohl kaum von Turner gesungen werden würde. Am Ende wurde „Why’d Ya Do It?“ in Australien und Neuseeland indiziert, im Rest der Welt festigte es den Ruhm einer großen Sängerin mit gebrochener Stimme. DANIÉL KRETSCHMAR

■ Marianne Faithfull: 29. 5., 19 Uhr, Zitadelle Spandau. VVK: ab 25 €