neues aus neuseeland: wir sind helden von ANKE RICHTER
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Am vergangenen Mittwoch wollte ich morgens nicht aus dem Bett. Es lag unter anderem daran, dass es jetzt noch bis um sieben Uhr dunkel ist und der Winter ins Land kriecht, und auch daran, dass am 25. April niemand arbeiten muss und die Geschäfte bis mittags zu haben. Aber vor allem sprach gegen diesen ungemütlichen Tag: Es war Anzac Day. Am Anzac Day gedenkt der Kiwi seiner Gefallenen und isst speziell für den Anlass gebackene Kekse, die kokosraspelhaltigen Anzac Cookies. Der eingewanderte Deutsche dagegen zieht sich die Decke über den Kopf und wünscht, er wäre unsichtbar.

Der Countdown lief schon lange vorher: Sonderbeilagen, Magazin-Cover, Fernsehdokumentationen, Helden und Victoria-Kreuze überall. Orden wurden poliert. Vor dem Supermarkt stand eine ältere Dame, die einem eine Mohnblüte aus Papier zum Anstecken verkaufen wollte, gegen eine kleine Spende für die Truppen. Rein zufällig schaltete die neuseeländische Armee halbseitige Anzeigen, um neue Mitarbeiter für den Geheimdienst zu rekrutieren.

Das ganze Prozedere dreht sich um die Dardanellen-Schlacht im Jahre 1915 auf einem Felsen in der Türkei: Gallipoli. Dort hat sich das „Australian New Zealand Army Corps“ erstmals im Kampf bewährt, auch wenn der Kampf übel ausging, denn die Briten überließen ihre Stiefkinder vom unteren Ende der Welt den Türken einfach als Kanonenfutter und machten sich aus dem Staub. Jedes Schulkind in Australien und Neuseeland kennt Gallipoli, auch wenn es kaum weiß, wo die Türkei liegt, geschweige denn, wer Atatürk war. Aber in Gallipoli entstand erstmalig das große Wir-Gefühl. Der Beginn einer Nation: Wir sind wer, nicht nur Mutter England. Einzigartig durch den Tod. In Gallipoli starben 2.721 Kiwis, die als Kanonenfutter für ihre Königin im fernen Großbritannien gegen den Feind aus dem noch ferneren Deutschland ins Feld zogen. Empire befiehl, wir folgen! Schön dumm. Aber es ging ja „um die Freiheit“. Und wenn es um die Freiheit geht, ist jeder, der dafür stirbt, automatisch ein Held. Das sind die Spielregeln. Spielverderber, die das in Frage stellen, bleiben besser zu Hause, wenn früh in der Dämmerung am 25. April allerorts Gedenkfeiern abgehalten werden.

Ganz reibungslos ging es auch in diesem Jahr bei den Paraden nicht ab. In Christchurch versagten die Lautsprecher. In Auckland kollidierte ein Unimog der Armee, made in Germany, mit einem Auto. Der Fahrer kam mit gebrochenem Bein davon. In den vergangenen zehn Jahren starben zehn Leute bei Unimog-Unfällen. Als unschöne Panne wurde auch der Rentner verbucht, der mit stolzgeschwellter Brust und militärischen Orden daran in der morgendlichen Parade mitmarschierte. Als ihn ein Veteran auf das beachtliche Sammelsurium aus Metall ansprach, musste der Mann zugeben, dass er die Orden im Internet ersteigert hatte. In Wellington verbrannte eine Friedensgruppe namens „Peace Action“ die neuseeländische Flagge, was auch nicht so gut ankam.

Ich war überrascht, dass an dem Tag dann doch noch jemand anrief und uns zu einem Picknick am Strand einlud. Vielleicht hatte derjenige ganz vergessen, wo wir eigentlich herkommen.