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: Mörderische Mediterranisierung

Darf man den allzu frühen Sommer genießen, obwohl er gewiss dem Klimawandel geschuldet ist?

So war sonst der April, so wird meist der Mai: Regen, viel Wasser vom Himmel, Sonniges rar, der Frühling in weiter Ferner, der Winter nahm gar kein Ende. Und jetzt? Seit etwa vier Wochen sind selbst in Südschweden Flora und Fauna vor ihrer Zeit, in den Schrebergärten werden erste Heckenschneidewettbewerbe gegeben, in den Parks montieren Menschen Grills, werden Wolldecken ausgebreitet, politische Demonstrationen bekommen gar eine heitere Note wie gestern in Berlin.

Sunshine Reggae? Sind wir nicht selbst schuld, dass das Klima bei uns nun so ist, wie es ist? Sollten wir jetzt nicht erst recht Groschen und Scheine an Weltklimasündenablassstellen überweisen? Ja, unseretwegen, doch, ja. Wenn es Ihnen an Geld nicht gebricht, dann möcht es so sein. Eine Bauernregel sagt ja: „Aprilenglut tut selten gut.“ Ohnehin hat es ja keinen Zweck, die Sonne wegzuwünschen: Regenmacher waren nie mehr als Scharlatane, und Gott, wer so will, war immer der Einzige, der den Himmel klimamäßig dirigierte.

Andererseits können wir nicht zum Gebet raten, denn diese Übung ist umstritten und ihr Erfolg ja immer begrenzt: Die einen sagen so, die anderen so. Im Grunde ist das Klima, wie es ist. Es scheint jetzt die Sonne, es ist warm, man kann in Bälde selbst in Gebirgsbächen planschen. Genießen wir es, aller aufgeladenen Klimaschuld zum Trotz, denn die Eiszeit, die wird schrecklich. Das mag auch für Apokalyptiker gelten, die hinter jeder erlittenen und wollüstig erlebten Sünde sofort eine Strafe gewärtigen möchten.

Das tun wir lieber nicht. Das schöne Wetter ist nicht hier und jetzt änderbar. Uns bleibt, so gesehen, nichts anderes übrig, als es zu nehmen, wie es uns gefällt. Und tut es das, sollten wir der Mediterranisierung Mitteleuropas mit Entspanntheit und einer gewissen Ironie entgegenleben. Elektrischer Strom aus erneuerbarer Energie gibt doch auch schöneres Licht, lässt E-Gitarren wärmer wummern und Vibratoren zarter summen.

Es ist Frühling wie Sommer, morgen schon könnte Herbst sein: Nehmen Sie es, wie es kommt – ob mit oder ohne Bußegefühl!