Tanzen gegen Kürzungen

Daniel Goldin inszeniert einen Satie-Tanzabend mit Salon an den Städtischen Bühnen in Münster. „(t)SchLU(ü)S(ß)S!?!.“ reflektiert auch die unsichere Zukunft des kommunalen Tanztheaters

AUS MÜNSTER MARCUS TERMEER

Alles ist Illusion. Ausstattung und Kostümierung sind opulent. Eine gewaltige Show-Treppe nimmt die Bühne ein. Dahinter aber bleiben die nackte Brandmauer und die Maschinerie des Großen Hauses der Städtischen Bühnen in Münster sichtbar.

Daniel Goldins Choreographie mit dem dadaistisch anmutenden Titel „(t)SchLU(ü)S(ß)S!?!.“ ist ein Satie-Abend mit Salon. Sie collagiert und variiert das Werk des so genannten „Bürgerschrecks“ Erik Satie (1866-1925) und dessen Querverbindungen zu Kubismus, Futurismus und frühem Surrealismus. Goldin arbeitet zwischen Cabaret und Avantgarde, „Gnossiennes“ und „Sports et Divertissements“ und er arbeitet wieder spartenübergreifend. Jetzt mit dem heimischen Sinfonieorchester und einem Kinderchor, der Teile aus Kurt Schwitters „Ursonate“ vorträgt. Dazu die Jazz-Sängerin Kathrin Mander als Chanteuse.

Und mit laufenden Bildern: Oliver Iserlohs neues 15-minütiges „surrealistisches“ Schwarz-weiß-Video über ein heimatloses Ensemble, sehr ambivalent zu Goldins Truppe, wird anfangs auf einen Vorhang projiziert. Angelehnt ist das Video an René Clairs Kurzfilm „Entr‘acte“, der 1924 in ähnlicher Weise Teil von Saties Ballett „Relâche“ war. Clair zeigt Man Ray und Marcel Duchamp auf dem Dach des Pariser Théâtre des Champs- Èlysées, Satie und Francis Picabia springen in Zeitlupe herum und feuern eine Kanone aufs Publikum.

Bei Iserloh, montiert mit Man-Ray-Fotos, werden Augen zu Uhrwerken, sitzen Augen in Mundhöhlen, werden Tänzer verschluckt und – wird Geld gezählt vor dem Münsteraner Stadttheater. Derweil wird das Goldin-Ensemble nämlich überall davon gejagt. Von Münsteraner Rathaus-Honoratioren, Klerikern, Straßenkehrern, schießenden Matrosen. Alles Illusion? „(t)SchLU(ü)S(ß)S!?!.“ ist als Titel nicht nur Anleihe bei Dada. Die Montage von „tschüß“ und „Schluss“ reflektiert auch die unsichere Zukunft des Tanztheaters.

Seit Jahren wird in Münsters Stadtrat dessen Einsparung diskutiert und – bislang noch verworfen. Und so schließen sich auch auf der Bühne immer wieder Vorhänge, um sich dann doch wieder zu öffnen. Dazu wird dort ausgiebig zitiert: Texte von Satie, Cocteau, Lorca oder Schwitters Forderung nach der revolutionären „Merzbühne“. Dazu Filmszenen wie Sergei Eisensteins stürzender Kinderwagen aus dem „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925). Was abgeschmackt wäre, wenn hier nicht nur zwei künstliche Beine im Wagen lägen. Die werden flugs mit Baguette und Hut zu einer fragilen Figur angeordnet.

Überhaupt spielen atomisierte oder überzählige Extremitäten, etwa bei Can-Can-Parodien im Sitzen, eine große Rolle. Und bourgeoise Hüte aller Art, über allem liegt Saties Ironie. Dessen oft statisch-repetitive Musik wird bei Goldin – dessen eigener Stil weiterentwickelt wird, aber immer erkennbar bleibt – zu wiegenden Hüften, nachzitternden oder rhythmisch niedergedrückten, auch grotesken Körpern zwischen Melancholie und auftrumpfender Ironie. Erik Saties Werke waren damals produzierte Skandale. Ein solches Unterfangen bleibt heute natürlich eine Illusion – Daniel Goldins Uraufführung bekam vielmehr des öfteren Szenenapplaus.

Städtische Bühnen, Münster Sa, 05. Mai, 19:30 Uhr Infos: 0251-5909100