Nicht im Schlaraffenland

INTEGRATION „Sei Berlino“: In der Theaterkapelle in Friedrichshain erzählen italienische Zuwanderer über ihr deutsches Leben in Berlin

Die Darsteller beschreiben sich selbst als „Menschen mit Integrationszukunft“

Sich nach Friedrichshain begeben zu müssen, erzeugt bei mir unangenehme Gefühle, schon bei der Fahrt über die Spree will ich am liebsten wieder umkehren. Aber ich möchte das „Teatro Instabile Berlino“ in der Theaterkapelle in der Boxhagener Straße besuchen. Das neue Stück der Truppe heißt „SEI BERLINO“, was auf Italienisch keine Aufforderung, sondern eine Tatsachenbeschreibung ist: Du bist Berlin. Es ist aber schon das Einzige, was man von der schönen Sprache wissen muss, um der gut einstündigen Aufführung folgen zu können: Alle Mitwirkenden sprechen auf der Bühne Deutsch, die Videoeinspielungen sind untertitelt.

Nach der Aufführung steht man dann mit einem Glas Prosecco und mit Sicht auf große Bäume unter einem milden Nachthimmel zwischen lauter zwitschernden Italienern – das ist sehr hübsch, es ist sogar noch hübscher, weil man in der theaterästhetisch nicht spektakulären Inszenierung von Manuela Naso das sofort begriffen hat: So hier zu stehen, mit Blick auf das mittelalterlich anmutende Gebäude der Theaterkapelle, vermittelt etwas von Piazza, von Gemeinschaft und Geborgenheit, von einer seit der Antike gepflegten Lebensart des zivilen Zusammenseins unter freiem Himmel. Geht – bzw. rennt – man anschließend hingegen die Simon-Dach-Straße entlang, so ist Friedrichshain auf den Nenner gebracht – mehr muss ein Kunstwerk nicht leisten.

Denn das Übel mit Berlin und seinen Szenebezirken – und Friedrichshain ist eben der schlimmste – ist ja, dass das angebliche Vergnügen bestenfalls wie ein gigantischer, von der Bespaßungsindustrie kontrollierter Rummel wirkt. Das mag befreiend sein, wenn man als junger Mensch aus einem sozial erstarrten Land wie Italien kommt, und so wird es im Stück thematisiert; aber es ist auf Dauer unmenschlich und wohl deswegen nur mit den Unmengen an Alkohol zu ertragen, die von prekären Arbeitskräften im Minutentakt angeschleppt werden müssen.

Was die Autorinnen Nadja Graselli und Manuela Naso den Schauspielern an Texten mitgegeben haben, beschreibt genau diesen Wandel in Wahrnehmung und Bedürfnissen. Letztlich möchte ich die Arbeit, die ich gelernt habe, in einem Land mit blauem Himmel machen können, sagt einer der Darstellerinnen auf Video.

Das Stück wird insofern also nicht ganz der Erwartung gerecht, die man sich machen durfte: Anstatt die Gruppe der jüngsten italienischen Zuwanderer abzubilden – jung, polyglott, gut ausgebildet –, die derzeit nach Berlin strömen und einfach loslegen wollen, sieht man auf der Bühne eher Menschen, die schon zweifeln, die älter geworden sind, die sich fragen, ob sie ihr Leben tatsächlich in der Fremde beschließen oder noch mal den Aufbruch nach Hause wagen sollen: „So bin ich nach Berlin gekommen. Man baut sich ein Leben auf, arbeitet, lernt Leute kennen, fühlt sich frei, fühlt sich endlich für sich selbst verantwortlich. Dann denkt man kurz nach und merkt, dass man nicht im Schlaraffenland ist.“

Dass mit dem Gedanken der langsamen Heimkehr auf der Bühne zumindest gespielt wird, hat natürlich auch mit Sarrazin zu tun, mit sozialbürokratischen Wortmonstern wie „Mensch mit Migrationshintergrund“. Sehr lustig machen sich die Darsteller Gedanken, wie sie sich selbst beschreiben würden – vielleicht „Mensch mit Integrationszukunft“.

Nicht alle der meist monologisch angelegten Szenen können überzeugen, es fehlt ein wenig die Interaktion. Macht aber dann am Ende nichts, weil man eine Menge Denkhausaufgaben mitbekommt: In Spanien und Süditalien erreicht die Jugendarbeitslosigkeit gerade vierzig Prozent. Bald werden türkische Berliner sich über zu viele Tapas-Bars beschweren; und die herkunftsdeutschen Mittelstandskids dürften sich noch wundern, wie fleißig, lustig und ehrgeizig die jungen Leute aus dem Süden sind, die mit ihnen in Konkurrenz um die qualifizierten Jobs treten werden. AMBROS WAIBEL

■ Wieder am 28. Mai, 2./3./4. Juni, Theaterkapelle, 20 Uhr