Ein Exzess an Schmerzen

THEATER Sebastian Hartmann inszeniert „Woyzeck“ von Georg Büchner am Deutschen Theater mit nur zwei Schauspielern

Viel Nebel zischt auf, grau und unheimlich, wie Rauch aus einem Vulkan quellend

Zwei Stimmen nur hat der „Woyzeck“, den Sebastian Hartmann am Deutschen Theater inszeniert. Bevor Franz und Marie, von Benjamin Lillie und Katrin Wichmann gespielt, das erste Mal zu reden beginnen, sah man sie schon mit wütenden Hieben aufeinander losgehen und in enger Umklammerung den schrägen Bühnenboden herunterrollen. Dass hier Liebe und Begehren nicht von Wut und Verzweiflung zu trennen ist, macht diese Büchner-Interpretation von Anfang an klar.

Erschöpft und nach Atem ringend wechseln sie die ersten Worte. Wer das eigentlich ist, mit dem man sich da gerade noch herumgewälzt hat, das nicht genau zu wissen, nicht eindringen zu können in die Lust und das Fühlen des anderen, das macht beiden Angst. Marie fürchtet die Hirnwut von Franz, sein Wandern durch andere Wirklichkeiten. Franz leidet an Eifersucht. Weil Lillie und Wichmann auch die Dialoge übernehmen, in denen Woyzeck vom Doktor und vom Leutnant schikaniert wird, wird seine Demütigung durch Dritte zum Teil seines Verhältnisses zu Marie: als ob sie ihre erotische Beziehung durch eine Art sadomasochistischen Rollenspiels befeuern würden und Woyzecks Erfahrungen der Erniedrigung von beiden mit schmerzhafter Lust durchgespielt würden.

So legt Hartmanns Inszenierung wenig Wert auf eine historische oder politische Verortung der Figuren. Woyzeck als Objekt der Zurichtung von den Institutionen des Militärs oder der Medizin spielt diesmal kaum eine Rolle. Alles konzentriert sich auf die psychische Verfasstheit von Franz und Marie und ihrem Leiden an der Unmöglichkeit von Nähe. Das Drama wird dadurch zu einem dunklen, langen Gedicht, einem Exzess an selbst zugefügten Schmerzen in einer Beziehung.

Dass man diese Lust an der Dunkelheit, diese schwarze Romantik ästhetisch durchaus goutieren kann, dafür sorgt Hartmann, der nicht nur Regie führt, sondern auch für das Bühnenbild verantwortlich ist, durchaus. Auf die mit pastoser schwarzer Farbe bemalten und den Raum verengenden Wände werden tanzende Schatten projiziert oder Gräser und Weiden im Wind. Viel Nebel zischt auf, manchmal grau und unheimlich, wie Rauch aus einem Vulkan quellend, manchmal durchleuchtet wie vom Sonnenaufgang. Der Musiker Ch. Mäcki Hamann begleitet die Inszenierung mit Streicherklang und elektronischer Musik, melancholisch, soghaft, verzehrend. Der visuelle und akustische Raum hält das Bühnengeschehen auch da zusammen, wo die Logik der Figuren ins Schleudern gerät und weitere Texte ins Spiel gebracht werden, etwa aus Büchners Briefen an seine Braut oder von Heiner Müller.

Mehr als einmal spielen Katrin Wichmann, die in ihrer körperlichen Präsenz üppig und weich ist, mit zerfließenden Konturen, und Benjamin Lillie, der immer wieder in ein expressiv outriertes Spiel verfällt, als würde sein schmaler und biegsamer Körper von unbekannten Mächten verzerrt und verzogen, Szenen der Ermordung durch. Dabei wechselt mitunter, wer da wem Gewalt antut. Wenn am Ende der Aufführung einer der letzten Sätze aus Heiner Müllers „Bildbeschreibung“ zu hören ist: „(…) der Mord ist ein Geschlechtertausch, fremd im eigenen Körper“, klingt das wie möglicher Schlüssel zu der Inszenierung.

Auch in dieser „Bildbeschreibung“ gibt es einen Mann und eine Frau. Müllers Text, von großer sprachlicher Dringlichkeit, durchläuft verschiedene Möglichkeiten, was sich vor dem Moment des Bildes und danach ereignet haben könnte. Die Identität der Figuren steht dabei nicht fest, dass sich hinter dem Bilderrätsel irgendwie ein dunkles Ereignis verbirgt, dagegen schon. Von hier aus betrachtet, findet man diese surreale Erzählstruktur wieder in dem, was Hartmann aus „Woyzeck“ gemacht hat. KATRIN BETTINA MÜLLER

■ „Woyzeck“. Deutsches Theater, wieder am 11./16. und 22. Oktober