Leben verlängern per Stift

Sein Credo: Jeden Tag eine Zeichnung. Der Niederländer Marcel van Eeden produziert voluminöse Bilderserien, die an Biografien berühmter Personen erinnern. Jetzt zeigt er „Celia“ in der Galerie Zink

VON KITO NEDO

In Marcel van Eedens Bilderwelt hausen Geister. Sie tanzen auf längst vergangenen, mondänen Dinnerpartys, wohnen in längst abgerissenen Häusern, blättern durch längst vergilbte Bücher und fahren mit längst verschrotteten Oldtimern durch die stockschwarze Nacht.

Der Grund für die vergänglich-morbide Grundstimmung im Werk des Niederländers: Als Vorlagen für seine graphitsatten Zeichnungen im Standardformat benutzt der Künstler ausschließlich Bilder, die zwischen den Zwanzigerjahren und dem Stichtag 22. 11. 1965 datieren, seinem Geburtstag. Alles, was mit der unmittelbaren Gegenwart zu tun hat, interessiert van Eeden nicht die Bohne.

Im Gespräch begründet er diese etwas eigentümliche Wahl seiner Sujets so: Sich in Momente einzuklinken, bei denen er unmöglich dabei gewesen sein könne, würde seine eigene Existenz in negativer Richtung über den Zeitpunkt seiner Geburt hinaus verlängern. Eigentlich, so erzählt er, wünsche er sich, dass der in der fotografischen Vorlage gefrorene Moment in der Zeichnung wiederauferstehen würde. Problem wäre dann nur: „Wenn der Moment wirklich wieder entstünde, wäre ich in diesem Moment nicht da.“ Den Kampf um die eigene künstlerische Unsterblichkeit kämpft van Eeden schon lang: Jeden Tag produziert er mindestens eine Zeichnung, seit 2001 veröffentlicht er die jeden Morgen auf seiner Internetseite. Diese künstlerische Obsession führte seit Anfang der Neunzigerjahre zu dem beachtlichen Oeuvre von über 5.000 Zeichnungen.

Wer jetzt denkt, dass es sich bei Marcel van Eeden um einen verbissenen Irren handelt, der mit der Jetztzeit hadert, liegt falsch. Man muss sich diesen Mann, der seit anderthalb Jahren zwischen seiner Heimatstadt Den Haag und seinem kleinen Berliner Atelier hin- und herpendelt, als einen rundherum entspannten Menschen vorstellen – der eben eine ganz eigene Strategie entwickelt hat, an Existenzzweifeln nicht kaputtzugehen: „Das, was ich tue, ist eigentlich total sinnlos, denn die Fotos waren ja schon mal da. Aber ich mag die Idee, dass man sich sein ganzes Leben mit etwas Sinnlosem beschäftigt. Es macht ja für mich trotzdem Sinn: Mit der Arbeit kann man die Sinnlosigkeit der eigenen Existenz begreifen und fröhlich sein.“ Sagt es, lächelt, und nimmt einen kleinen Schluck Kaffee.

Welchen alten Fotos van Eeden mit Hilfe des Bleistifts zu neuer Aufmerksamkeit verhilft, bleibt oft einer Tageslaune überlassen. Seine Liebe gilt den profanen, misslungenen oder nichtssagenden Abbildungen. Ein Bild von Henri Cartier-Bresson würde van Eeden als Vorlage verschmähen, denn da könne man ja „künstlerisch nichts mehr bewegen“. Ihn interessieren hingegen Fotos aus Zeitschriften, Zeitungen und Werbebroschüren, die sich nicht ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt haben.

Mit kraftvollem wie realistisch-genauem Zeichenstrich und flächendeckenden Schraffuren in allen erdenklichen Grautönen werden diese Bilder nun Teil eines ganz speziellen, dicht gehängten Bilderkosmos. In einer Van-Eeden-Ausstellung wird man förmlich eingesogen in die schier endlose Abfolge von filmstillartigen, düsteren Szenen, vollgepackt mit Nicht-Orten und Nicht-Personen, die vor allem vom unermüdlichen Begehren des Künstlers künden, die einmal begründete Schattenwelt beständig zu erweitern.

Einem größeren Publikum ist Marcel van Eeden seit der letzten Berlin Biennale im Frühjahr 2006 ein Begriff. Damals zeigte er in einem der oberen Flure des verwaisten Schulgebäudes auf der Auguststraße die Serie „K.M. Wiegand – Life and Work“. Die erzählte auf 139 Blättern die Geschichte des Tausendsassas Karl McKay Wiegand, einem ungemein vielseitigen Künstlergenie, Armeegeneral, Boxer und Tiefseetaucher in Personalunion. Die ganze Geschichte war natürlich kompletter Nonsens, aber die fiktive Wiegand-Saga zählte zu den Entdeckungen der Biennale.

Einen besonderen Reiz entfaltete die Arbeit durch die zusätzliche Textebene – Verfremdungen der alten Bildunterschriften, bei denen van Eeden offensichtlich alle auftauchenden Personennamen einfach durch „Wiegand“ ersetzte und so diesem schillernden, multiplen Charakter erst zu seiner Existenz verhalf. Für die Texte benutzte van Eeden zusätzlich eine alte Schriftschablone, was sie elegant noch mehr als Teil der Zeichnung – und damit einer anfangs- und endlosen Geschichte – erscheinen ließ.

Noch kryptischer als die Wiegand-Serie präsentiert sich der ebenfalls zwischen 2004 und 2006 entstandene Zyklus „Celia“, der nach dem Kunstverein Hannover nun in der Kreuzberger Dependance der Münchner Galerie Zink zu sehen ist. Auf insgesamt 147 Blättern entfaltet sich die Geschichte von Celia Coplestone, einem aus einem Theaterstück von T.S. Eliot entliehenen Charakter. Losgelöst von den Bildern zitiert van Eeden fortlaufend verschiedene literarische Texte, unter anderem Walser und Eliot, die sich via Schablonenschrift förmlich in die Zeichnungen hineinschmiegen. Wenn man beim Anschauen so etwas wie die Geschichte eines tragischen Frauenschicksals erblickt, freut das den Künstler ungemein – ist aber, so sagt er jedenfalls, ganz allein der blühenden Betrachterfantasie geschuldet.

bis 16. 6., Galerie Zink, Schlesische Str. 27, Di.–Fr. 10–18 Uhr, Sa. 11–18 Uhr; Katalog bei Hatje Cantz, 23 €