Sexy und marktfähig

Eine neue Runde in der Debatte um Gefahr und Mehrwert von prekarisierter Arbeit: Holm Friebe, Adrienne Goehler und Melissa Logan diskutierten in den Sophiensælen

„Es lebe die Bohème? Neue Arbeit und kreatives Leben“, hieß es am Mittwochabend in den Sophiensælen – und prompt brauchte man mehr Stühle als geplant. Gut hundert ZuhörerInnen waren gekommen, mehrheitlich zwischen 25 und 35 Jahren, um einer weiteren Veranstaltung zum Thema prekäre Arbeitsformen, neue Selbstentwürfe und deren mangelnde Wahrnehmung durch die Politik zu folgen. Die Diskussion darum, dass Vollbeschäftigung nur mehr eine Rhetorik der Politik, aber unter den gegebenen Wettbewerbsbedingungen keine Option mehr darstellt, gibt es jetzt schon lange. Was nicht weiter erstaunt: 1974 war das erste und letzte Jahr, in dem Vollbeschäftigung herrschte – für Männer.

In Berlin erfuhr die Debatte mit dem Buch „Wir nennen es Arbeit“ ihre jüngste Neubelebung. Den Autoren Holm Friebe und Sascha Lobo, geht es darin – so betonte es der Journalist und Volkswirt Friebe auch an diesem Abend geduldig – nicht um die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft. Sondern einfach darum, das, was ohnehin bereits für viele Realität ist – nämlich eine mehr oder weniger erzwungene Selbständigkeit – nicht mehr vorrangig als Makel oder Drama wahrzunehmen, sondern offensiv als eine Möglichkeit zu nutzen, „Herr über den eigenen Tag zu sein“. Man könne auch ohne festen Job wieder „ein Gefühl für den eigenen Marktwert bekommen“.

Der in dem Buch beschriebene Ausweg aus der Defensive setzt die Verteidigung der eigenen Freude an dem, was man macht, voraus. Lustvoll entzieht man sich dem System Festanstellung, ohne dies als Rückzug zu begreifen, und ist auch gleich – das ist der Trick – wieder marktfähig. Bekanntlich ist Marktwirtschaft ja zu einem Gutteil Showbusiness.

Auch Adrienne Goehler zählt heute nach Jahren als Präsidentin der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und Leiterin des Berliner Hauptstadtkulturfonds zu den Freiberuflern. Für die Diskussion gut vorbereitet, trug sie ein mit roten Lettern versehenes Designer-T-Shirt: „Alles muss man selber machen.“ Auch sie hat im letzten Jahr ein Buch zum Thema geschrieben: „Verflüssigungen. Wege und Umwege vom Sozialstaat zur Kulturgesellschaft“. In diesem wirbt sie dafür, von den Kulturschaffenden und deren Erfahrungen mit ungeschützten Arbeitsverhältnissen zu lernen. Denn nur noch 13 Prozent aller Arbeitsverhältnisse entsprächen den traditionellen „Nine-to-five-Jobs“. Darauf müsse die Politik endlich reagieren. Trotz vieler Schnittstellen mit Friebe war Goehler es, die ihm in der Diskussion immer wieder die Zwanghaftigkeit seines Selbständigenmodells vorhielt, das Krankheit nicht abfedere, sondern stete Leistungsfähigkeit fordere.

Hier tat sich der übliche Graben auf: Die einen, und dazu gehörte neben Goehler auch die Soziologin Christiane Schnell, betonen zu Recht die Defizite und Gefahren prekärer Arbeitsstrukturen. Die anderen – Holm Friebe ebenso wie Melissa Logan von den Chicks on Speed – nutzen ihren Bildungsvorteil, um weder Arbeitsmarkt und Kulturbetrieb noch sich selbst allzu ernst zu nehmen und lieber das zu genießen, was geht. Dass diese offensive Naivität politisch und lebenstechnisch fruchtbar zu machen ist, gerade weil sie angesichts der Machtverhältnisse ein Bollwerk gegen die selbstzerstörerische Existenzangst darstellt, dafür geben Friebe und Logan gute Beispiele ab. Bleibt die Frage, wie sich diese libidinöse Besetzung von Unsicherheit politisieren lässt. Ob die Gewerkschaften vielleicht doch noch diese Klientel zur Kenntnis nehmen? Denn: Dass diese einer kreativen Gelassenheit entspringende Sexyness a) marktfähig und b) Arbeit ist – wer wollte das noch bestreiten?

INES KAPPERT